Nachtrag zum Königlichen Hausgesetz;
vom 20. August 1879.

(G.u.V.-Bl. 1879, S.323-326)

Wir, Albert, von Gottes Gnaden König von Sachsen etc. etc. etc. haben, soweit nötig,
unter Zustimmung Unserer getreuen Stände, zur Ergänzung Unseres Hausgesetzes
vom 30. Dezember und in teilweiser Abänderung der Vorschriften im neunten Abschnitt desselben zu verordnen befunden, was folgt:

§ 1


(1) Der König nimmt in privatrechtlichen Angelegenheiten Recht bei dem Oberlandesge-
richt zu Dresden.


(2) Die Mitglieder des Königlichen Hauses haben für diese Angelegenheiten ihren allge-
meinen Gerichtsstand bei demselben Gericht.


(3) In den in § 25 und § 541 der Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 bezeichneten
Rechtsstreitigkeiten findet der in § 25, Abs. 1 und in § 547, Abs. 1 der Zivilprozeßordnung bestimmte besondere Gerichtsstand statt. Für alle anderen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist der allgemeine Gerichtsstand der ausschließliche.



§ 2


Andere Personen nehmen Teil an dem Gerichtsstande der in § 1 genannten, wenn sie zu-
gleich mit diesen in Anspruch genommen werden und der Fall einer notwendigen Streit- genossenschaft vorliegt. Außer diesem Falle kommen die Vorschriften in §§ 56, 57 der Zivilprozeßordnung gegen die in § 1 genannten Personen nur insoweit zur Anwendung, als unter diesen selbst die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft vorhanden sind.


§ 3


(1) Das Verfahren in den nach § 1 dem Oberlandesgericht in erster Instanz zugewiesenen
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richtet sich nach den Grundsätzen, welche zur Anwen- dung kommen würden, wenn der Rechtsstreit in erster Instanz einem Landgericht zugewiesen wäre.


(2) Für die Verhandlung von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Könige und Mitgliedern
des Königlichen Hauses unter sich ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen.



§ 4


(1) Zustellungen erfolgen für den König an das Ministerium des Königlichen Hauses.

(2) Der König wird bei Gericht durch einen vom Ministerium des Königlichen Hauses be-
stellten Anwalt vertreten.



§ 5


Der König und die Mitglieder des Königlichen Hauses sind zum persönlichen Erscheinen
vor Gericht nicht verpflichtet.



§ 6


(1) In den Fällen des § 340, Abs. 2 der Zivilprozeßordnung und des § 71 der Strafprozeß-
ordnung erfolgt die Zeugenvernehmung durch ein von dem Präsidenten des Oberlandesge-
richts beauftragtes Mitglied dieses Gerichtshofs.


(2) Gegenüberstellung eines Mitglieds des Königlichen Hauses mit anderen Zeugen oder
mit dem Beschuldigten findet nur dann statt, wenn sie von dem Ersteren verlangt wird.


(3) Der König und dessen Gemahlin können nicht zum Zeugnis aufgerufen werden.


§ 7


(1) Die Abnahme des in einem bürgerlichen Rechtsstreit einem Mitglied des Königlichen
Hauses zufallenden Parteieides erfolgt ohne Rücksicht darauf, bei welchem Gericht der Rechtsstreit anhängig ist, durch ein vom Präsidenten des Oberlandesgerichts beauftragtes Mitglied dieses Gerichtshofs.


(2) Die dem Könige in einem bürgerlichen Rechtsstreit zufallenden Parteieide werden für
ihn durch den gemäß der Bestimmungen in § 4, Abs. 2 bestellten Anwalt geleistet.14



§ 8


(1) Die Vorschriften des siebenten Buches der Zivilprozeßordnung finden gegen den Kö-
nig und die Mitglieder des Königlichen Hauses keine Anwendung.


(2) Das Gleiche gilt von den Vorschriften des sechsten Buches der Zivilprozeßordnung,
soweit sie auf Ehesachen und Entmündigungssachen sich beziehen. Bei Rechtsstreitig- keiten, die unter die Vorschriften des zweiten Abschnitts des sechsten Buches fallen, ist eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen.15


§ 9


(1) In dem Verfahren zur Sicherung des Beweises (§ 447 fg. der Zivilprozeßordnung) sind die Gesuche des Prozeßgegners des Königs oder eines Mitglieds des Königlichen Hauses auch in den Fällen des §448, Abs. 3 der Zivilprozeßordnung bei dem Oberlandesgericht anzubringen.


(2) Zur Vornahme der im achten Buch der Zivilprozeßordnung bezeichneten gerichtli-
chen Amtshandlungen ist, sofern dieselben gegen ein Mitglied des Königlichen Hauses zu richten sind, ausschließlich das Oberlandesgericht zuständig.


(3) Wegen Übertragung der in § 674 der Zivilprozeßordnung bezeichneten nicht gerichtli-
chen Amtshandlungen wird, sofern sie vom Prozeßgegner eines Mitglieds des Königlichen
Hauses beantragt sind, vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Bestimmung getroffen.


(4) Die in § 678, Abs. 1 und 2, §§ 774, 775 der Zivilprozeßordnung gedachten Amtshand-
lungen können nur nach vorgängiger Anzeige an den König, die §678, Abs. 3, §§782, 789, 798 bezeichneten Amtshandlungen nur mit Genehmigung des Königs stattfinden. In den Fällen des § 678, Abs. 1 und 2 ist ein Vertreter des Ministeriums des Königlichen Hauses zuzuziehen.


§ 10


(1) Die nach § 1 dem Oberlandesgericht in erster Instanz zugewiesenen bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten, sowie die in § 9, Abs. 1 bezeichneten gerichtlichen Amtshandlungen gehören vor den ersten Zivilsenat des Oberlandesgerichts. Hat sich der Präsident des letzteren für das betreffende Geschäftsjahr diesem Senat angeschlossen, so tritt an Stelle des Präsidenten des Gerichtshofs der dem zweiten Zivilsenat angehörende Senatspräsident.


(2) Die Verhandlung und Entscheidung über Berufungen und Beschwerden in diesen An-
gelegenheiten gehört vor den zweiten Zivilsenat des Oberlandesgerichts, welcher durch zwei, dem ersten Senat nicht angehörende, vom Präsidenten des Gerichtshofs zu bestim-mende Mitglieder des letzteren zu verstärken ist. Hat sich der Präsident des Gerichtshofs für das betreffende Geschäftsjahr einem anderen Senat als dem zweiten Zivilsenat angeschlossen, so tritt derselbe an die Stelle des dem zweiten Zivilsenat angehörenden Senatspräsidenten.


§11


(1) In Straf- und Disziplinarsachen entscheidet der König über Mitglieder des Königli-
chen Hauses in erster und letzter Instanz.


(2) Zur Vorbereitung der Entscheidung erfolgt im Auftrag des Königs eine Erörterung
und Begutachtung des Falles durch das Oberlandesgericht.


(3) Der Präsident des letzteren bestellt zur Vornahme der Erörterungen ein Mitglied dieses
Gerichtshofs, welchem bei deren Vornahme die in der Strafprozeßordnung dem Untersu-
chungsrichter beigelegten Befugnisse und Obliegenheiten zukommen. Die in §§98, 102, 112, 127, 131, 134 der Strafprozeßordnung bezeichneten Amtshandlungen können, soweit sie gegen Mitglieder des Königlichen Hauses gerichtet sein würden, nur mit Genehmigung des Königs verfügt werden.

(4) Nach Abschluß der Erörterungen und nachdem zur Einreichung einer Verteidigungs-
schrift Gelegenheit gegeben worden ist, erstattet das Plenum des Oberlandesgerichts auf
Grund der Ergebnisse der Erörterungen in Form eines Erkenntnisses mit Entscheidungs- gründen ein Gutachten, welches dem Könige vom Justiz-Ministerium vorgelegt wird.


(5) Die Entscheidung des Königs erfolgt durch Bestätigung, Verwerfung oder Abände-
rung des Erkenntnisses, wobei jedoch die Bestimmung am Schluß des § 52 der Verfassungsurkunde in Anwendung zu bringen ist.



§ 12


(1) aufgehoben16

(2) Zu Entscheidung von Eheirrungen wird der König in vorkommenden Fällen jedesmal
ein besonderes Gericht niedersetzen und das Verfahren vor demselben bestimmen.


(3) Bei Streitigkeiten, welche in privatrechtlichen Angelegenheiten zwischen Prinzen und
Prinzessinnen vorkommen, hat der Staatsminister der Justiz auf Königlichen Auftrag einen
Versuch der gütlichen Vereinigung anzustellen. Bleibt derselbe ohne Erfolg, so ist die Streitigkeit auf den Rechtsweg zu verweisen.



§ 13


Die Bestimmungen in §§ 2, 3, 4, 7 und 9 des Gesetzes über privilegierte Gerichtsstände u.s.w. vom 28. Januar 1835 und im neunten Abschnitt des Königlichen Hausgesetzes vom 30. Dezember 1837 sind aufgehoben.



§ 14


Gegenwärtiger Nachtrag zum Königlichen Hausgesetz tritt gleichzeitig mit dem Gerichts-
verfassungsgesetz in Kraft.


14 „Die Vorschriften des § 7 gelten auch für solche Eide, die auf dem Gebiete der bürgerlichen Gesetze außerhalb einer Rechtsstreitigkeit zu leisten sind“. Dieser Zusatz trat durch § 20, Punkt 1 des nachfolgend abgedruckten Gesetzes vom 6. Juli 1900 ( G.u.V.-Bl. S.448-452) in Kraft.


15 Die Vorschriften des § wurden durch § 20, Punkt 2 des nachfolgend abgedruckten Gesetzes vom 6. Juli 1900 (G.u.V.-Bl. S.448-452) aufgehoben und durch den vorliegenden Text ersetzt.

16 Der erste Absatz des § 12 wurde durch § 20, Punkt 3 des nachfolgend abgedruckten Gesetzes vom 6. Juli 1900 (G.u.V.-Bl. S.448-452) aufgehoben.


Urkundlich haben wir denselben eigenhändig vollzogen und Unser Königliches Siegel beidrucken lassen.


Gegeben zu Dresden, am 20. August 1879.

Albert

(L.S.)


Alfred von Fabrice.
Herrmann von Nostitz-Wallwitz.
Dr. Carl Friedrich von Gerber.
Dr. Christian Wilhelm Ludwig von Abeken.
Leonce Freiherr von Könneritz.