Banner Sächsische Mundart.
Startseite. » Land und Leute. » Sächsische Kultur. » Sächsiche Mundart. » Die Mundart nach H. F. von Criegern.

Die Mundart nach H. F. von Criegern.

Im genauesten Zusammenhange mit dem Charakter eines Volkes steht seine Mundart. Unsre sächsische soll, wie man allgemein hört, einerseits den Stempel der Gemütlichkeit an sich tragen, anderseits unter allen deutschen Mundarten die verständlichste sein. Beides ist richtig.

Das erstere ist der natürliche Ausfluß der in der That vorhandenen gutherzigen und freundlichen Art unsres Stammes; das andre daraus erklärlich, daß bei der allgemeinen Bildung, welche unser gesamtes Volk durchdringt, eine Abschleifung und Verwischung des Volksdialekts eintreten mußte. Wenn diese Vorzüge vielfach nicht nur nicht so, wie sie es verdienen, anerkannt werden, sondern ein Gegenstand fortwährender Neckereien sind, wie man es bei jeder Reise durch andre deutsche Lande erleben kann, und wenn infolge davon unter den Sachsen selbst viele, an der Berechtigung ihrer Mundart irre geworden, sich Mühe geben, dieselbe abzulegen, so sei dagegen darauf aufmerksam gemacht, daß wir von maßgebender Seite höchst ehrenvolle Zeugnisse über unsre Sprache anführen können. Der Minnesänger Hugo von Trimberg (Anfang des 14. Jahrhunderts) erteilt in seinem „Renner“ den Meißnern das Lob einer sorgfältigen Aussprache, und eine alte Priamel des 15. Jahrhunderts sagt: „In Meißen teutsche Sprache gar gut.“ Als sodann Luther, der Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache auftrat, fand er an der Sprache, wie sie sich in der sächsischen Kanzlei ausgebildet hatte, eine Schriftsprache vor, in welcher er sich jedem Deutschen verständlich machen konnte. Er selbst sagt darüber: „Ich habe keine sonderliche eigne Sprache im Deutschen, sondern gebrauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide, Ober- und Niederdeutsche, verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland. Alle Reichsstädte und Fürsten schreiben nach der sächsischen und unsres Fürsten Kanzlei. Darum ist es auch die gemeinste deutsche Sprache. Kaiser Max und Kurfürst Friedrich, Herzog zu Sachsen, haben im römischen Reiche die deutschen Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen.“

Wenn auch unser Luther hiermit die Ehre, Schöpfer einer neuen deutschen Sprache zu sein, bescheidentlich ablehnt, so ist er es doch! Man vergleiche nur den von ihm als seine Norm angeführten Kanzleistil mit seiner eignen Sprache! Mit Recht nennt daher bereits 1551 der Grammatiker Fabian Franck neben der kaiserlichen Kanzlei Luthers Schriften als Richtschnur der Sprache. In späterer Zeit wird von dem Baron von Loen, den wir bereits erwähnten, den sächsischen Frauen nachgerühmt, daß man unter ihnen die besten Sprechmeisterinnen finde: „Der liebliche Klang ihrer Stimme macht auch selbst unsre rauhen Töne zärtlich und angenehm.“ Schließlich läßt Schiller in seinen „Flüssen“ die Elbe sagen: All ihr andern, ihr sprecht nur ein Kauderwelsch; unter den Flüssen Deutschlands rede nur ich und auch in Meißen nur deutsch. Wenn in diesen Worten eine leise Ironie liegt, so enthalten sie doch eine Anerkennung dessen, was in Sachsen durch die Gottschedsche Schule für die deutsche Sprache gethan worden war.

Gegen diese Herrschaft des meißnischen Dialekts hat sich zwar auch Goethe anfänglich erklärt, da er jedem deutschen Dialekt dasselbe Recht darauf, sich in der Literatur geltend zu machen, zuspricht. Allein je mehr und mehr hat auch er sich ihr gefügt, wie aus der Vergleichung seiner von Erich Schmidt heraus gegebenen ersten Faustbearbeitung mit der in seine gesammelten Werke aufgenommenen hervorgeht; und nachweisbar hat der Aufenthalt in Leipzig, vor allem der Umgang mit den Leipzigerinnen, maßgebend auf sein Deutsch eingewirkt. Sein Zeugnis gegen die Meißner Mundart ist ein sehr geharnischtes, es lautet folgendermaßen: „Mit welchem Eigensinne die Meißner Mundart die übrigen zu beherrschen, ja eine zeitlang auszuschließen gewußt hat, ist jedermann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem pedantischen Regiment gelitten, und nur durch vielfachen Widerstreit haben sich die sämtlichen Provinzen in ihre alten Rechte wieder eingesetzt. Was ein junger lebhafter Mensch unter diesem beständigen Hofmeistern ausgestanden habe, wird derjenige leicht ermessen, der bedenkt, daß nun mit der Aussprache, in deren Veränderung man sich endlich wohl ergäbe, zugleich Denkweise, Einbildungskraft, Gefühl, vaterländischer Charakter sollten aufgeopfert werden. Und diese unerträgliche Forderung wurde von gebildeten Männern und Frauen gemacht, deren Überzeugung ich mir nicht zueignen konnte. Mir sollten die Anspielungen auf biblische Kernstellen untersagt sein, sowie die Benutzung treuherziger Chronikenausdrücke. Ich sollte vergessen, daß ich den Geiler von Kaisersberg gelesen hatte, und des Gebrauchs der Sprichwörter entbehren, die doch statt vieles hin- und herfackelns den Nagel gleich auf den Kopf treffen; alles dies, was ich mir mit jugendlicher Heftigkeit angeeignet, sollte ich missen, ich fühlte mich in meinem Innern paralysiert und wußte kaum mehr, wie ich mich über die gemeinsten Dinge zu äußern hatte.“ (Aus meinem Leben, Wahrheit und Dichtung, Band IV. der sechsbändigen Cottaschen Ausgabe, S. 92.)

Der Verständlichkeit der sächsischen Mundart gibt ein sehr vorteilhaftes Zeugnis ein Franzose in dem zwar nicht unbedingt, aber in vielen Stücken als Duelle für Kenntnis der damaligen Zustände in den verschiedenen Teilen unsres Vaterlandes brauchbaren Werke: „Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris“ (1786). Er sagt daselbst im 41. Briefe: „Sowie man über die böhmische Grenze ist, hört man eine ganz andre Sprache. Zum erstenmal hörte ich nun das gemeine Volk verständig deutsch sprechen; denn durch ganz Schwaben, Bayern und Österreich spricht man einen Jargon, den einer, der das Deutsche von einem Sprachmeister gelernt hat, ohne besondere Übung unmöglich verstehen kann.“

Aus: Der Leumund der Sachsen. Festschrift zur Jubelfeier der 800 jährigen Regierung des Hauses Wettin über das gegenwärtige Königreich Sachsen, verfaßt von Hermann Ferdinand von Criegern, Leipzig 1889, Verlag und Druck von Otto Spamer.

Quelle: https://staatsbibliothek.ewigerbund.org/viewer/image/criegern_leumund_sachsen_1889/26/