Banner Sächsische Mundart.

Das Land.

Die Kultur eines Volksstammes ist wesentlich bedingt durch die Beschaffenheit des Bodens, den er bewohnt und bebaut. Unter diesem Gesichtspunkte sei vor allem hier festgestellt, daß der Boden Sachsens seit je den Ruf großer Ertragsfähigkeit gehabt hat. So fanden ihn bereits im 7. Jahrhundert, als noch die Sorben-Wenden im Besitze des von den Hermundurern verlassenen Landes waren, fränkische Mönche, welche sich jedenfalls schon im Hinblick auf eine zukünftige Eroberung durch die Deutschen mit demselben bekannt gemacht hatten. Sie schrieben nämlich, daß dem Lande der Sorben nur noch Wein, Feigen- und Ölbäume fehlten, um das gelobte Land heißen zu können.

Daher hat später, nachdem das sächsische Land schon durch die Deutschen besiedelt und bebaut worden war, Markgraf Heinrich II. (1125–27) über dasselbe den Ausspruch gethan: Es ist ein blumenreiches Paradies voll Überfluß und Friede, ein Wort, welches – Gott dem Herrn sei Dank – heute noch der Fürst des Landes über dasselbe wiederholen kann! In hoch gesteigertem Maße mag das Meißner Land den Eindruck der hohen Kultur gemacht haben, als Kaiser Karl V. auf seinem Feldzuge gegen den in die Reichsacht erklärten Kurfürsten Johann Friedrich den Großmütigen dasselbe kennen lernte. Während er im Jahre 1547 in Meißen weilte, hat er erklärt, daß er das Elbthal zwischen Meißen und Dresden der schönsten Gegend Italiens gleichachte; und er war doch ein weitgereister Mann, der außer Italien fast das ganze Europa und selbst Nordafrika kannte.

Es bezieht sich dies Urteil Kaiser Karls jedenfalls darauf, daß er die Gegend sehr wohl angebaut fand, wenigstens äußert er ein andermal, daß er nirgends soviel Schlösser beisammen gefunden habe als in der herrlichen Elbgegend Sachsens. Überhaupt hat jener Kaiser in Sachsen, nachdem er einmal das Land kennen gelernt, seinem eignen Zugeständnisse gemäß vieles anders gefunden, als es ihm vorher dargestellt worden war. Es mögen ihm allerdings von seinen spanischen Gewährsmännern, welche von Geringschätzung und Haß gegen alles Deutsche erfüllt waren, sehr ungünstige Darstellungen von diesem norddeutschen Staate gemacht worden sein. Ihm soll in der durch den Augenschein gewonnenen günstigen Anschauung von Sachsen Cosmo III. von Medici beigestimmt haben; vielleicht hat er schon eine Ähnlichkeit zwischen seinem heimatlichen Florenz und der Hauptstadt Sachsens, Dresden, gefunden, eine Ähnlichkeit, welche in späteren Zeiten dazu geführt hat, daß man unsrer ebenso schön gebauten als schön gelegenen Landeshauptstadt den abgeschmackten Namen „Elbflorenz“ gegeben hat.

Beziehen sich die eben gehörten Zeugnisse über Sachsen mehr auf die Kultur des Landes, so hören wir, allerdings verhältnismäßig spät, auch solche über seine landschaftlichen Schönheiten; ist doch überhaupt der Sinn für Naturschönheit, wie ihn jetzt jeder einigermaßen auf Bildung Anspruch machende Mensch hat, erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Haller, den Verfasser des Gedichts „Die Alpen“ (geboren 1708, gest. 1977), dem reisenden Publikum erschlossen worden. Noch ungefähr 1716 weiß eine geistreiche Touristin vom Meißner Oberlande, durch welches sie allerdings des Nachts bei Mondschein gefahren ist, nichts zu sagen, als daß der Weg voller Schrecken und Gefahren gewesen sei. Der bekannte „Elbantiquarius“ von 1741 rühmt zwar die Aussicht vom Königstein, hat aber für die Reize der Umgegend kein rechtes Auge und seufzt:

„Das Einzige ist uns bislang noch abgegangen,
Daß in der Nähe man kein Wirtshaus angelegt.“

Käme er jetzt wieder hin, er würde vielleicht ausrufen: „die ich rief, die Geister, werd’‘ ich nun nicht los!“ Auch Büsching hat in seiner 1754 vollendeten, für seine Zeit großartigen „Neuen Erdbeschreibung“ nichts über die Schönheit dieser Landschaft zu sagen, wie dieselbe überhaupt erst durch den Pastor Nikolai, den Begründer des Schandauer Bades, in Aufnahme gekommen ist. Von ihm an haben Besucher aus aller Herren Länder schon dadurch, daß sie in so ungeheuren Scharen diese Gegend besuchten, Zeugnis dafür abgelegt, daß man an derselben Gefallen findet. Daher gebührt dem genannten geistlichen Herrn der Dank seiner Landsleute nicht nur, denen er eine sehr reichlich fließende Einnahmequelle erschlossen hat, sondern auch aller für Naturschönheit begeisterten Seelen.

Diesen Dank würde man ihm noch freudiger zollen, wenn er nicht an Stelle des ebenso wohllautenden als richtigen Namens „Meißner Oberland“ den nicht nur unschönen, sondern auch unzutreffenden Namen „Sächsische Schweiz“ aufgebracht hätte, über den sich mit Recht schon der große Geograph Karl Andree entrüstet hat.

Es ist schon lächerlich nicht nur, sondern unrecht, von einer „Hohburger Schweiz“ zu reden, da die dieselbe bildenden Porphyrkuppen, welche, an der Nordgrenze des Meißner Hochlandes stehend, den Übergang in die norddeutsche Tiefebene vermitteln, bedeutend genug wären, um eine selbständige Benennung zu führen. Wenn nun aber gar die interessanteste Felsenpartie, welche Sachsen aufzuweisen hat, mit einem geborgten Namen genannt wird, der nicht einmal glücklich gewählt ist, sondern zu einem allemal zu ungunsten unsrer Berge ausfallenden Vergleiche auffordert, so ist das wieder einmal ein Beweis dafür, wohin den Deutschen sein Mangel an Wertschätzung der von Gott ihm verliehenen Gaben und seine Sucht nach fremdländischem Wesen führt.

Nichtsdestoweniger ist die Sächsische Schweiz ein liebliches Stück Erde, was zu besuchen sich wohl lohnt. Daher wird ihm auch von maßgebender Seite das ihm gebührende Lob gezollt, welches natürlich nur ein bedingtes sein kann, einmal, da die Gegend eben nur lieblich und freundlich, aber nicht wild und großartig ist, zum andern, weil sie an einer gewissen Einförmigkeit leidet.

So spricht sich z. B. Daniel darüber folgendermaßen aus: „Jetzt ist die Sächsische Schweiz eine der besuchtesten Gegenden Deutschlands, mehr ein großartiger Park als eine Wildnis, mit allen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten in so hohem Grade ausgestattet, daß sich fast jedem Naturgenusse die überfeine Kulturwelt, der man auf Reisen entfliehen will, an die Fersen hängt. Die Nähe des schönen Elbflorenz (!), das Silberband der Elbe sind es selbst, die der Gegend ihren hohen Reiz verleihen. Die Sandsteinbildungen, die Gründe, selbst die Aussichten leiden an einer gewissen Einförmigkeit. Von den meisten Höhen sieht man dieselben Kuppen und Felsen, nur immer wieder anders gestaltet, wie etwa die Stühle in einem Salon. Und mit einem eleganten Boudoir hat die Sächsische Schweiz auch einige Ähnlichkeit.“

Trotz der zackigen Formen, spricht Cotta (übrigens ein Thüringer Kind, am 30. Oktober 1765 auf der Kleinen Zillbach, einem jetzt abgetragenen Forsthause in der Nähe von Eisenach, geboren und darum voll berechtigter Vorliebe für die allerdings einzigartige Schönheit seines heimischen Thüringer Waldes), machen die ungeschichteten Porphyrfelsen doch meist einen besonders gediegenen Eindruck, namentlich wenn man sie mit den weit groteskeren Felsen des Kalksteins oder Sandsteins z. B. in der Sächsischen Schweiz vergleicht.

„Mir wird in dieser Hinsicht der Ausspruch eines deutschen Monarchen unvergeßlich bleiben, der auf dem Thorsteine des Tabarzer Felsenthales (am Inselsberge in Thüringen) in Bewunderung versunken und, die Felsenarmut seines Landes beklagend, darauf aufmerksam gemacht, daß dieses doch noch schönere Felsenpartien enthalte, höchst bezeichnend erwiderte: Ja, das ist doch nur Sandstein! Jemand nennt die Sächsische Schweiz die Partie der Damen und der lustreisenden jungen und alten Ehepaare.“

Ein sehr anerkennendes und auch wegen der darin zu Tage tretenden gesunden Gesinnung beachtenswertes Urteil über das Meißner Hochland spricht Rellstab aus (1815 preußischer Offizier, zuletzt in Berlin Herausgeber der Vossischen Zeitung, bekannt vor allem durch seinen vielgelesenen Roman: „1812“). Er sagt nämlich in seinen 1842 erschienenen Reiseberichten: „Ich habe die frische Erinnerung von zahlreichen Thälern in Salzburg, Steiermark, Tirol und Italien, und doch thut keine dem eigentümlichen Reize des uns so nahe gelegenen Tempe Eintrag; es könnte mitten in die malerischsten Gegenden jener Länder versetzt werden und würde sich dort ebenso gut in seiner Geltung behaupten wie bei uns.“

Weiter bemerkt er: „Beim Anblicke der schönsten italienischen Landschaften habe ich mich oft gefragt: Wie, wenn sich von dieser Seite plötzlich das Elbthal aufthäte? Würde man nicht über den holden Reiz oder die romantische Wildheit (?) desselben erstaunen? Würde dies Segment deutschen Bodens, mitten in den Kreis italienischer oder schweizerischer Herrlichkeit gerückt, nicht als einer der schönsten Abschnitte erscheinen?“

Wäre diese Beurteilungsweise allgemeiner, so würden wir auch über andre Teile des Sachsenlandes, vor allem über das Erzgebirge und das obere Vogtland, Zeugnisse haben, welche der hohen landschaftlichen Schönheit dieser Gebirgsgegenden gerecht würden. So aber wird aus älterer Zeit vom Erzgebirge nur der – leider jetzt durchaus nicht mehr so ergiebige – Bergsegen gerühmt. Daß er in ganz Deutschland und darüber hinaus Gegenstand des Erstaunens und wohl auch des Neides gewesen ist, da in der That seiner Zeit die sächsischen Fürsten ihre Macht und ihren Glanz dem Silberbergbau im Erzgebirge verdankten, klingt in dem bekannten Liede Justinus Herners „Der reichste Fürst“ nach, in welchem er den Sachsen sagen läßt:

„Herrlich, sprach der Fürst von Sachsen,
Ist mein Land und seine Macht.
Silber tragen seine Berge
Wohl in manchem tiefen Schacht.“

Ein weiteres volkstümliches Urteil über das Erzgebirge finden wir in dem Rheinweinliede des norddeutschen Dichters Matthias Claudius, der über unsre Berge sagt:

„Im Erzgebirge dürft ihr auch nicht suchen,
Wenn Wein ihr finden wollt;
Das bringt nur Silbererz und Kobaltkuchen
Und etwas Lausegold.“

Zum Teil sind die Sachsen selbst daran schuld, daß ihr Land nicht hinreichend gewürdigt wird, indem sie z. B. die allerdings rauhe Gegend um den Keilberg (1255 m) das „sächsische Sibirien““ nennen. Desgleichen sagt man scherzweise, daß der Teufel, als er dem Herrn Christus bei der Versuchung (Matth. 4) die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigte, die sächsischen Orte Geyer, Thum und Ehrenfriedersdorf nicht mit gezeigt habe, weil diese doch gar zu wenig zum Herrlichen in der Welt gerechnet werden könnten (mündlich). Daß wir in unserm Lande noch viel Schönes haben, was mehr als bisher bewundert zu werden verdient, beweist uns ein Ausspruch Leupolds, der die Gegend um Sachsenburg an der Zschopau für eine der reizendsten in Deutschland erklärt.

Vor einer vorurteilslosen Kritik besteht auch Leipzigs Umgegend. So schildert Zachariä in seinem 1761 in erster Ausgabe erschienenen „Renommisten“ das Rosenthal, dessen Bäume zu seiner Zeit noch bis dicht vor das Ranstädter Thor gingen, als einen sehr lieblichen Hain, welcher zum Lustwandeln, namentlich Liebende einlade und durch welchen eine Kahnfahrt nach Gohlis zu machen einen ganz eigentümlichen Reiz gewähre. Ganz reizlos hingegen erscheint die Gegend um Leipzig dem Franzosen Viktor Tissot, dessen Reisewerk über Deutschland, welches unter dem Titel: „Un voyage au pays des milliards“ 1878 in Paris erschienen ist, überhaupt durch den an Verrücktheit grenzenden Ärger über die ungeheuren Fortschritte Deutschlands seit dem siegreichen Kriege von 1870/71 sehr belustigend auf den Leser wirkt.

Es fällt ihm auf dem Wege von Weimar nach Leipzig auf, daß man nicht mehr kleine Thäler und frische grüne Gehölze, nicht mehr lachende Dörfer hinter Baumvorhängen, sondern ein ödes, fast unbebautes Land sieht. Nackte Ebenen entrollen sich vor dem Blicke wie eine Wüste. Alles ist um einen Monat hinter dem Süden zurück, der Holunder ist eben erst erblüht, das Getreide kurz und mager; Pappelbäume, die wie Soldaten in Reih‘ und Glied dastehen und die Felder zu bewachen scheinen, ersetzen die Fruchtbäume.

Allerdings würde sofort die Gegend ihm wie ein Paradies erschienen sein, wenn ihm zwischen Kötzschau und Markranstädt jemand gesagt hätte, daß man hier aus Preußen heraus und nach Sachsen hineinkomme. Denn wenn er gleich Leipzig wegen seiner Begeisterung für Kaiser und Reich sehr wenig schön findet, so ist ihm doch Sachsen immer noch unendlich lieber als das in seinen Augen über alles hassenswerte Preußen, dessen hohe Bedeutung für die neueste Entwickelung der deutschen Geschichte kaum durch etwas andres so klar dargelegt werden kann, als durch die Lästerungen des durch seine Wut verblendeten Franzosen.

Aus: Der Leumund der Sachsen. Festschrift zur Jubelfeier der 800 jährigen Regierung des Hauses Wettin über das gegenwärtige Königreich Sachsen, verfaßt von Hermann Ferdinand von Criegern, Leipzig 1889, Verlag und Druck von Otto Spamer.

Quelle: https://staatsbibliothek.ewigerbund.org/viewer/image/criegern_leumund_sachsen_1889/9/