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Leipzig nach H. F. von Criegern.

Ein wesentlich andres Bild entwerfen die Fremden von Leipzig. Was die sprichwörtlichen Redensarten über Leipzig sagen, nämlich: „Wenn Leipzig meine wäre, möcht’ ich’s in Freiberg, verzehren“ (aus dem Munde eines sächsischen Fürsten). „Zu thun haben, wie der Leipziger Rat.“ „Es ist richtig mit Leipzig“; Lipsia vult exspectari (Kanzleitrost für Anstellung Suchende), Lipsia lipsiscit (Luther) läßt darauf schließen, daß man diese Stadt für eine wohlhabende, weil fleißige, und an ihrer Eigenart mit Selbstbewußtsein festhaltende gehalten hat. Dies Urteil ist im ganzen richtig.

Hier findet man Reichtum und Bildung, wie kaum sonst irgendwo in der Welt vereinigt. Denn das kaufmännische Leben hat hier einen seiner Mittelpunkte; nicht minder der Buchhandel, welcher noch bis in dies Jahrhundert hinein, auch in geselliger Hinsicht, als ein von der Kaufmannschaft völlig getrennter Berufszweig angesehen ward. Der Handel Leipzigs ist auch in den Drangsalen des Dreißigjährigen Krieges nicht ganz untergegangen, da selbst Torstenson in richtiger Erkenntnis seiner Bedeutung für das eigne Interesse ihn gegen die nachteiligen Folgen des Krieges zu schützen suchte, so daß die Stadt auch in der Zeit des Krieges „des Landes bestes Asylum und armer Verjagter, Dürftiger und Kranker Apothek und Brotkammer“ genannt werden konnte.“

Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß mit der Wohlhabenheit auch Prachtliebe einriß. Die Leipziger Bürgersfrauen trugen sich, wie die Kleiderordnung von 1626 rügt, „nicht auf ehrbare deutsche, sondern auf ausländische Manier mit mehrfachen goldenen Ketten, Handschuhen mit Gold und Perlen gestickt, goldenen Dolchen durchs Haar, in Summa so, daß es nicht adligen, sondern gräflichen und höheren Standespersonen gleich ist.“ Und über die 1651 beim Herannahen der Schweden nach Dresden geflüchteten Leipzigerinnen sagt die Kurfürstin: „Das Weibsvolk von Leipzig thut nichts, denn Hoffart und Pracht in Kleidung herein nach Dresden bringen, damit hier unsre Dresdener Schlappen vollends in ihrem halsstarrigen Sinne wegen übermäßiger Hoffart in Kleidung verstärkt werden.“

Hinsichtlich seiner Bedeutung in geistiger Hinsicht galt Leipzig damals für den Mittelpunkt deutscher Wissenschaft und Bildung, auch im Auslande war es dafür bekannt. Der starke Besuch der Universität, über 3000 Studierende, ist das beste Zeugnis dafür, was für eine Meinung man von derselben hatte. Dieser zahlreiche Besuch ist, ganz abgesehen von der Anziehungskraft, welche die Namen einzelner Lehrer ausübten, dem Umstande zuzuschreiben, daß die Stadt mehr als irgend eine andre dem studierenden Jüngling Gelegenheit bot, sich eine allgemeine Bildung anzueignen. Daher sagt Lessing, daß man auf der Universität Leipzigs beinahe nichts so zeitig gelernt habe, als ein Schriftsteller werden.

Auch für Goethe ist der allgemeine Einfluß des Leipziger Lebens auf sein Denken und Empfinden mindestens ebenso merkbar als der einzelner Lehrer. Was ihm Leipzig gewesen, ist hinlänglich bekannt. Er hat für diese Stadt das zum geflügelten Worte gewordene Lob im Faust niedergelegt:

Mein Leipzig lob‘ ich mir, Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.

Dies Lob ist nun freilich nicht nach unserm Geschmack, denn es verrät zu deutlich, daß Goethe, als er es schrieb, immer noch unter dem im Elternhause empfangenen und später auch noch bestärkten Eindrucke stand, als ob die französische Bildung, die sei, die auch die Deutschen nachahmen müßten. Allein von dieser Befangenheit, welche der ersten Periode seines dichterischen Wirkens ihren allgemeinen Charakter gegeben hat, ihn zu heilen, ist ihm gerade in Leipzig der Popularphilosoph Clodius behilflich gewesen, welcher ihm wenigstens zum Bewußtsein brachte, welchen Mißbrauch die deutschen Dichter mit der griechischen Götterlehre trieben. Nachdem Clodius eines seiner Gedichte von diesem Gesichtspunkte aus scharf angegriffen hatte, so verwünschte er, wie er selbst sagt, von der Richtigkeit der Clodiusschen Kritik überzeugt, den ganzen Olymp, warf das ganze mythische Pantheon weg und ließ seit jener Zeit höchstens noch Luna und Amor in seinen kleinen Gedichten auftreten. Clodius selbst war begeistert für Leipzig, das ja überhaupt seinen akademischen Lehrern in jeder Hinsicht stets geboten hat, was ihr Herz nur wünschen kann.“

Ein sehr günstiges Zeugnis stellt eine aus Norddeutschland nach Leipzig gezogene Dame der Leipziger Straßenjugend aus, im Leipziger Tageblatt vom 17. März 1889, IV. Beilage. Sie sagt:

„Einen Beweis von Höflichkeit, ja selbst von ritterlicher Gesinnung bei einem Straßenjungen – jenes Wort hier angewendet, mag seltsam scheinen, und ist doch vollauf berechtigt – fand ich in einem kleinen Vorgange, der mir wohl nie aus dem Gedächtnis schwinden wird. Auf einem Spaziergange im Rosenthale traf ich zwei vielleicht zehn- und zwölfjährige Knaben, denen die Armut nicht nur an den bloßen Füßen abzulesen war, sondern aus jeder verschlissenen Naht ihrer dürftigen Kleidung, aus jedem Zuge ihrer kränklichen, fahlen Gesichter sprach. Der eine von ihnen trug am Arme einen Korb mit Rosen, die er wohl den Spaziergängern zum Kauf anbot, des zweiten Hand umspannte ein Bündel Schilfstengel mit den daran haftenden braunen Blütenkolben. Ich hatte dies phantastische Gewächs seit langen, langen Jahren nicht gesehen, und eine plötzlich auftauchende Erinnerung an selige Kindertage, denen jede der kleinen Hand nur irgend erreichbare Gabe der Natur, jede seltene Pflanze, jeder absonderliche Stein zum froh begrüßten Spielzeuge wird, erweckte in mir den Wunsch nach einem solchen Kolben. Ich sprach den Knaben darum an, und er reichte mir gleich deren eine größere Anzahl hin: „Ja, nehmen Sie nur, ich habe noch genug, kriege auch wieder mehr.“ Mit zweien war ich zufrieden und zog dann mein Portemonnaie, um ihm eine kleine Spende dafür zu geben. Fünfundzwanzig Pfennig waren’s, der Knabe aber weigerte sich, sie zu nehmen, und verstand sich erst dazu, als ich ihm sagte: Nun ich schenke dir ja nichts, du bist ein kleiner Kaufmann, gabst mir deine Ware und nimmst dafür mein Geld. Damit ging ich weiter, doch wenige Schritte nur, da kam mir das Kind schon nachgelaufen, in der Hand eine prächtige rote Rose, wohl die schönste aus seines Kameraden oder auch Bruders Korbe, und bot sie mir mit den Worten dar: „Na, dann nehmen Sie wenigstens noch die Rose“, sprach es und sprang, leichtfüßig wieder fort. So manche Rose ward mir in meinem Leben freundlich dargebracht, keine aber hat mich so tief bewegt als diese aus des armen Straßenkindes schmutziger Hand.“

So hat denn Leipzig im allgemeinen, seit es einen sächsischen Staat gibt, mit Recht für eine ganz besonders wertvolle Perle in der Krone der Wettiner gegolten. Selbstverständlich aber muß es da, wo viel Licht ist, auch Schatten geben.

Was man an Leipzig zu tadeln gehabt hat, steht im Zusammenhange mit seinem Wohlstande. Zuerst ist dies nämlich der Luxus; doch muß in Bezug hierauf sehr viel auf Kosten des Neides geschrieben werden, mit dem andre ärmere Städte diese Stadt immer betrachtet haben. Sodann wird von vielen Reisenden seit den Tagen der Reformation, wo die „Briefe der Dunkelmänner“ den geistigen und sittlichen Zustand dieser Stadt in einem überaus trüben Lichte erscheinen lassen, sehr viel nicht wieder zu Erzählendes über das „Leipziger Leben“ erzählt; allein wer die Messe kennt, von welcher diese düsteren Sittenbilder meist genommen sind, weiß, daß nicht die Leipziger Bürger, sondern die Fremden es sind, welche das sogenannte „Leipziger Leben“ machen. Desgleichen steht im Zusammenhange mit dem Wohlstande der Stadt der viel beseufzte Umstand, daß Leipzig eine teure Stadt ist, was nicht in Abrede gestellt werden kann.

Einen sehr ungünstigen Leumund hat unsre gute Stadt bei Luther, welcher bekanntlich zuerst zur Disputation mit Eck in der Pleißenburg hier gewesen ist. Es mag vor allem die bei dieser Veranlassung von der Universität ihm entgegengebrachte gänzlich ablehnende Haltung gewesen sein, durch welche sich in seinem herzen eine so tiefe Abneigung gegen diese Stadt festgesetzt hat, daß er auch später, als sie sich mit Begeisterung ihm anschloß, ihr doch keine Gegenliebe schenken konnte. Daher ist die durch ihre großartigen Messen immer mehr emporkommende Handelsstadt für ihn nur der Typus schnöder Gewinn- und Genußsucht.

In einem seiner Tischgespräche sagt er: „Welch ein Wust ist zu Leipzig! Die ist doch gar im Geize ersoffen!“ und in seiner Schrift an die Pfarrherren, wider den Wucher zu predigen (1540), „Ich lasse mir sagen, daß man itzt jährlich auf einem jeglichen Leipziger Markt zehn Gulden, das ist dreißig aufs Hundert, nimmt; etliche setzen hinzu auch den Naumburgischen Markt, daß es vierzig aufs Hundert werden. Pfui doch! Wo zum Teufel will denn zuletzt das hinaus? Das heißen nicht Jahrzinse, auch nicht Mondzinse, sondern Mordzinse, rechter jüdischer täglicher Wucher. Wer nun itzt zu Leipzig hundert Floren hat, der nimmt jährlich vierzig; das heißt, einen Bauer oder Bürger in einem Jahre gefressen. Hat er tausend Floren, so nimmt er jährlich vierhundert, das heißt, einen Ritter oder reichen Edelmann in einem Jahre gefressen. Hat er zehntausend, so nimmt er jährlich viertausend, das heißt einen reichen Grafen in einem Jahre gefressen. Und leidet darüber keine Fahr weder an Leib noch an Ware, arbeit nichts, sitzt hinter dem Ofen und brät Apfel.“ Endlich ist in einer auf der Leipziger Stadtbibliothek vorhandenen handschriftlichen Sammlung von Tischgesprächen Luthers, die sich 1546 ein Pfarrer in Marienberg oder ein Lehrer der dortigen Lateinschule nach dem Exemplare des Johann Matthesius in Joachimsthal angelegt hat, folgende harte Prophezeiung aus Luthers Munde über Leipzig enthalten: „O Leipzig, du bist ein böser Wurm, Gott wird dich strafen, dich wird ein groß Unglück übergehen. Ich werde es aber nicht erleben, aber die Schüler, die auf der Gassen gehen, werden’s erleben, denn Finanzerei, Hoffart und Pracht straft Gott mit aller Macht. Es währt alles seine Zeit.“

Ein Beispiel solcher bestraften Gewinnsucht erblickt er in dem Schicksale seines ehemaligen Buchdruckers Melchior Lotter, der ein paar Jahre lang in Wittenberg glänzende Geschäfte mit Luthers Fleiß und Schweiß gemacht hatte, dann aber, vom Kurfürsten nach Leipzig zurückgewiesen, zu einem unbedeutenden Drucker herabsank.

Nach diesem ernsten Zeugnisse gegen die Stadt Leipzig soll noch ein erheiterndes angeführt werden, nämlich das des Franzosen Tissot aus dem Jahre 1878: „Ich habe“, so schreibt er, „wieder einmal wie sonst (vor 1870) einen Tag auf studentische Weise zugebracht, aber ach! wie ganz anders ist es seitdem geworden. Lachende Erinnerungen meiner Jugendjahre, ich habe euch durch die Wolken des deutschen Tabaks und der deutschen Wissenschaft hindurch wiedergesehen. Damals klang die französische Sprache für germanische Uhren wie Musik; sie war der Sesam, welcher dir alle Thüren öffnete; man suchte dich auf, man begegnete dir mit der ausgesuchtesten Artigkeit, man umgab dich mit tausend Aufmerksamkeiten. Sobald der Name Paris genannt ward, drehten sich die deutschen Dickköpfe um, wie die Flügel einer Windmühle, wenn sich der Wind erhebt. Frankreich war das Traumland, das mit Weinreben umkränzte, mit einem goldenen Kleide angethane, auf ein Blumenbeet hingestreckte Wunderland, es war das Morgenland für diese nordischen Völker. Paris sehen und sterben! so klang es von deutschen Lippen! Jetzt ich will lieber schweigen!“

Sehr unzufrieden äußert er sich über die Leipziger Gasthäuser. „Selbst in denen ersten Ranges bekommst du Betten ohne Betttücher (Anm.: Wahrscheinlich ist da, wo er eingekehrt ist, das Bett noch nicht überzogen gewesen); wenn du ein Betttuch verlangst, bringt man dir eine Serviette. Die Reisedecke ist für den, der in Preußen reist, unentbehrlich (weil er nämlich glaubt, Leipzig liege in Preußen, ist er von einem solchen Hasse gegen diese Stadt erfüllt). Die Küche steht im Einklange mit dem Übrigen. Sage mir, wie du ißt, und ich will dir sagen, wer du bist. Man muß drei wesentliche Eigenschaften besitzen, um dem Restaurants- und Gasthofsessen in Leipzig Trotz bieten zu können, nämlich keinen allzu peinlichen Begriff von Reinlichkeit, eine jeder Probe gewachsene Geduld und einen Magen wie ein Schiffsbauch. Man möchte schwören, daß alle berühmten Giftmischer sich in Preußen (!) zusammengefunden haben, um daselbst ungestraft ihr Handwerk auszuüben.“

Schrecklicher noch als in den Gasthäusern sieht es für ihn in den Familien aus:

„Nirgends ist das Familienleben öder als in den preußischen Provinzen, durch welche ich gekommen bin (von ganz Preußen hat er aber, abgesehen von Berlin, nur die Bahnstrecke zwischen Rackwitz und Berlin kennen gelernt). Abends ist der Mann immer auswärts; von 5 Uhr an sitzt er in der Brauerei oder im Klub, wo er bis 10 Uhr bleibt. Er sucht sich auf der Speisenkarte die besten Gerichte aus, während seine Frau und seine Kinder unter dem Zepter des ewigen Kaffees dahinleben, außer Sonntags, wo man gewöhnlich eine Landpartie unternimmt und ein vergnügtes Mahl im Freien hält. In den Städten sind die Familienbande dermaßen gelockert, daß nicht selten Herren in der Gesellschaft drei oder vier ihrer früheren Frauen wiederfinden, die infolge häuslicher Umwälzungen zur Thür hinausgeworfen worden sind. Wenn es in der französischen Unterhaltung einen stehenden Gegenstand gibt, so sind es diese Sittenbilder aus Deutschland; aber wieviel falsche Urteile fällen wir immer noch über dieses Land!“

Sodann fehlt den Leipzigern sogar die allereinfachste geschäftliche Ehrlichkeit:

„Alle Erinnerungen daselbst, die Denkmäler, die Volksfeste, alles nährt den Haß gegen den Erbfeind! Wenn du nicht Deutsch kannst, sprich leise! Drohend spitzt man die Ohren bei den wohllautenden Klängen der gallischen Zunge, und die Kaufleute ermangeln nicht, dich zu behandeln wie die Mauren einen Christen, sie geben dir nicht richtig wieder, sondern brandschatzen dich auch noch auf andre Weise, indem sie nämlich den Preis ihrer Waren verdoppeln. Studenten aus Genf und aus Lausanne sagten mir in dieser Hinsicht: Wir wurden die erste Zeit dergestalt bestohlen und ausgeplündert, daß wir genötigt waren, beim Eintritt in ein Geschäft oder eine Restauration zu erklären, daß wir, obgleich wir französisch sprechen, doch Schweizer seien.“

Wie die alte Redlichkeit, so ist auch der Glanz der Messe dahin. Tissot sieht auf derselben nur noch einige Verkäufer unter großen roten Schirmen, barfüßige Kinder, welche Hundewagen lenken, einige Bücklingsfrauen, Verkäufer von Wiener Würstchen und Sarghändler, welche Reklame machen, indem sie mit den Fingern einen Trauermarsch auf dem leeren Kasten trommeln.

„Ich habe“, sagt er, „einen Greis gesehen, welcher einen Knoten im Ende seines Schnupftuchs aufband, drei Thaler in die Hand des Sarghändlers fallen ließ und mit seinem Sarge auf dem Rücken davonging.“

Dazu bringt er ein aus einer deutschen Zeitschrift entlehntes, das Jahrmarktsleben einer kleinen süddeutschen Stadt darstellendes Bild, durch welches dieser, jedem Kenner Leipzigs völlig unbekannte Sarghandel anschaulich gemacht werden soll.

„In demselben Zustande des gänzlichen Verfalls wie der Handel befindet sich auch die Universität. Zwar sind die Studenten hier etwas gesitteter als in Heidelberg, wo zukünftige Pastoren, Ärzte und Richter wankenden Schritts aus der Kneipe herauskommen, indem sie singen: „Grad‘ aus dem Wirtshaus komm‘ ich heraus“, oder in Jena, wo sie einander im Schlafrock und Hausschuhen Besuche abstatten; auch sind das Augusteum und die daran anstoßenden, der Wissenschaft gewidmeten Gebäude Achtung gebietend; um so weniger aber sind es in seinen Augen die Professoren! Ihre Vorlesungen, welche bereits früh 6 Uhr beginnen (?), sind über alle Begriffe langweilig, obgleich Leipzig die besten Professoren in Deutschland hat, da es sie am besten bezahlen kann. Inhaltlich sind diese Vorlesungen eine Anhäufung von gelehrten Einzelheiten, hinsichtlich der Form das Formloseste, was es gibt. Denn der Professor gibt sich nicht die geringste Mühe, durch eine gewählte klare Sprache zu fesseln, oder den Stoff interessant zu gruppieren; der deutsche Student will es nicht besser haben; er ist zufrieden, wenn ihm der Marmorblock unbehauen, wie er aus dem Steinbruche kommt, dargeboten wird. Sehr gut aber scheint der Appetit der Leipziger Gelehrten zu sein, wenn man sieht, wie sie mit strengen Blicken, einen Haufen Bücher unter dem Arme, im Hofe des Augusteums die fragwürdige Fleischware verschlingen, welche dort unter dem Namen Wurst angeboten wird.“

In diesem Tone geht es fort. Zwar halten wir den Franzosen jetzt sehr viel zu gute in dieser Hinsicht, da wir sie nach gutem Brauche unsrer Vorfahren behandeln, welche dem verurteilten das Recht zugestanden, zwei Stunden lang über seine Richter zu schimpfen. Allein, wenn man mit dem, was der Mann Tissot schreibt, das vergleicht, was 70 Jahre früher die Frau von Staël geschrieben hat, aus deren Feder wir Verschiedenes angeführt haben, dann merkt man mit erschreckender Klarheit, daß Frankreich ungeheuer zurückgegangen ist.

Aus: Der Leumund der Sachsen. Festschrift zur Jubelfeier der 800 jährigen Regierung des Hauses Wettin über das gegenwärtige Königreich Sachsen, verfaßt von Hermann Ferdinand von Criegern, Leipzig 1889, Verlag und Druck von Otto Spamer.

Quelle: https://staatsbibliothek.ewigerbund.org/viewer/image/criegern_leumund_sachsen_1889/40/