Friedrich Wilhelm III.
Friedrich Wilhelm III. war unter der Aufsicht seines Großheims, des „alten Fritz“, einfach und schlicht erzogen worden. Pflichttreu und sittlich ernst, von wortkargem, oft kurzem Wesen, bemühte er sich, gegen jedermann gerecht zu sein. In seiner Gemahlin, der schönen und liebenswürdigen Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz, besaß er eine kluge und willensstarke Lebensgefährtin, die ihn im Unglück durch ihr Gottvertrauen ermutigte und aufrichtete.
Dem glänzenden Leben am Hofe Friedrich Wilhelms II. waren Friedrich Wilhelm und Luise abgeneigt. Sie weilten ungern in dem vornehmen Stadtschloße zu Potsdam, das ihnen der prachtliebende König als Wohnsitz zugewiesen hatte, und zogen sich oft nach dem Gute Paretz bei Potsdam zurück. Dort führte Friedrich Wilhelm mit seiner Gemahlin und seinen Kindern das einfache Leben eines Landedelmanns. Er nahm an den Freuden und Leiden der Dorfbewohner Anteil und ließ seine Luise gern die „gnädige Frau“, sich selbst den „Schulzen von Paretz“ nennen. Beide tanzten fröhlich am Erntefeste unter der Dorflinde mit, und der gütigen Kronprinzessin machte es besonderes Vergnügen, bei solchen Gelegenheiten die zahlreichen Kinder des Ortes zu beschenken
Auch als Friedrich Wilhelm III. im Alter von 27 Jahren den Thron bestieg, blieb sein Familienleben den Untertanen ein leuchtendes Vorbild deutscher Zucht und Sitte.
Erste Regierungszeit.
Friedrich Wilhelm III. fand bei Übernahme der Regierung Preußen von schweren Schulden bedrückt. Durch sparsame Wirtschaft gelang es ihm aber, in acht Jahren die Hälfte davon abzutragen. Beim Heere freilich war diese Sparsamkeit nicht angebracht. Um keine Ruhegehälter zahlen zu müssen, ließ Friedrich Wilhelm viele alte Generale, die längst nicht mehr kriegstüchtig waren, in ihren Stellungen. Die Soldaten hatten sehr schweres Gepäck zu tragen, und die Gewehre waren schlecht und verbraucht. Trotzdem unterblieben Verbesserungen in Ausrüstung und Bewaffnung. Der König liebte Neuerungen überhaupt nicht, weil er sie auf die französische Revolution zurückführte. Daher wurde auch das Heerwesen in dem Zustande belassen, in dem es sich zur Zeit Friedrichs des Großen befunden hatte. Der König hoffte nämlich, durch Friedensliebe seinem Volke das Unglück eines Krieges ersparen zu können.
Jena und Auerstädt.
Als Österreich im Bunde mit Rußland und England 1805 zum dritten Male gegen Frankreich kämpfte, zogen französische Truppen durch preußisches Gebiet, obgleich Preußen am Kriege nicht beteiligt war. Der Gesandte, den Friedrich Wilhelm III. wegen dieser Rechtsverletzung zu Napoleon sandte, wurde mit Ausflüchten hingehalten, bis Österreicher und Russen bei Austerlitz geschlagen waren. Als dann Napoleon von diesen Feinden nichts mehr zu befürchten hatte, führte er gegen Preußen eine hochmütige Sprache, drängte ihm Hannover auf, bot aber bald darauf dieses Land England an. So zwang er durch Hinterlist und verächtliche Behandlung Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1806 zum Kriege, als dieser gegen ihn allein stand. Mit großer Zuversicht zogen die preußischen Offiziere, die längst schon den Krieg gegen den übermütigen Eroberer gewünscht hatten, ins Feld. Zwei Heere unter Ferdinand von Braunschweig und dem Fürsten Hohenlohe traten den Franzosen und den Truppen des Rheinbundes, die überraschend schnell über den Thüringer Wald vordrangen, entgegen.
Die preußische Vorhut unter Prinz Louis Ferdinand von Preußen wurde am 10. Oktober 1806 bei Saalfeld geschlagen; Louis Ferdinand starb im Kampfe mit französischen Reitern den Heldentod. Am 14. Oktober kam es zur Entscheidungsschlacht. Fürst Hohenlohe unterlag bei Jena den kriegsgewohnten, leicht beweglichen Truppen und dem überlegenen Feldherrngeschicke Napoleons.
Ferdinand von Braunschweig wurde an demselben Tage bei Auerstädt unvermutet angegriffen und verlor gleich bei Beginn der Schlacht durch einen Schuß beide Augen. Bald befand sich die Armee trotz der Tapferkeit einzelner Abteilungen in voller Flucht: das preußische Heer, das zur Zeit des großen Friedrichs der ganzen Welt Trotz geboten und bisher für unbesiegbar gegolten hatte, war geschlagen.
Der Zusammenbruch des preußischen Heerwesens.
Die alten Generale wurden von furchtbarem Schrecken befallen und verloren völlig Ruhe und Besinnung. Die starken Festungen Erfurt, Magdeburg, Spandau, Küstrin, Stettin, die den Feind lange Zeit hätten aufhalten können, wurden mit Kriegsvorräten und Besatzungen ohne Schwertstreich übergeben. Schon zehn Tage nach der Schlacht bei Jena konnte Napoleon in Berlin als Sieger einziehen, und nur mit Mühe brachte der Minister von Stein die Staatskasse in Sicherheit.
Hohe Kriegssteuern wurden dem besetzten Lande aufgelegt. Viele Kunstschätze, u. a. die Siegesgöttin vom Brandenburger Tore, ließ Napoleon nach Paris bringen; auch Hut und Degen Friedrichs des Großen wurden als Siegesbeute weggeführt. Die Trümmer der preußischen Armee ergaben sich bei Prenzlau. Der General Blücher aber wahrte den alten preußischen Waffenruhm. Er schlug sich tapfer mit einer kleinen Abteilung bis Lübeck durch, mußte sich jedoch schließlich aus Mangel an Lebensmitteln und Pulver gleichfalls gefangen geben.
In Kolberg hinderte die Bürgerschaft unter Führung des alten, entschlossenen Schiffskapitäns Nettelbeck den altersschwachen Kommandanten, die Stadt zu übergeben. Auf ihre Bitte sandte der König den Major von Gneisenau zur Leitung der Verteidigung. Dieser hielt die Festung, trotzdem sie furchtbar beschossen wurde, bis zum Friedensschlusse, kräftig unterstützt von den Bürgern und dem tapfern Husarenrittmeister von Schill. Auch einige andre kleine Festungen wurden wacker verteidigt: in Graudenz forderten die Franzosen den alten General von Courbière auf, die Festung zu übergeben; denn „es gäbe keinen König von Preußen mehr“. Er antwortete stolz: „So gibt es wenigstens noch einen König von Graudenz“ und hielt die ihm anvertraute Feste. Die Treue und Tüchtigkeit einzelner mutiger Männer konnte jedoch das Unglück nur wenig aufhalten.
Aber nicht nur im Heere, auch bei einem großen Teile des preußischen Volkes schienen Vaterlandsliebe und Mannesmut geschwunden zu sein. Statt zu versuchen, dem Feinde Widerstand zu leisten und die Schmach von Jena auszulöschen, zeigte die Bevölkerung dem geschlagenen Heere gegenüber offene Schadenfreude und unterwarf sich willig der französischen Herrschaft. Deutsche Zeitungen druckten Siegeslieder der Franzosen und Lobreden auf ihre Feldherren. Man buhlte sogar offen um die Gunst Napoleons, indem man ihn in den Städten feierlich empfing.
Die Flucht der königlichen Familie.
Die königliche Familie war nach der Niederlage von Jena und Auerstädt nach Graudenz geflohen. Da die Franzosen aber schnell bis zur Weichsel vordrangen, mußte sie die Flucht nach Königsberg und schließlich bis nach dem entlegenen Memel fortsetzen.
Es war Winter; Nässe und Kälte machten die Reise, die oft in einfachen Bauernwagen zurückgelegt wurde, besonders auf der rauhen Kurischen Nehrung sehr beschwerlich. Nach langer Fahrt in dichtem Schneegestöber mußte die Königin in einer Bauernhütte, durch deren zerbrochene Fensterscheiben Wind und Kälte eindrangen, übernachten. Obgleich die edle Frau durch das Unglück gebeugt und körperlich leidend war, verlor sie Mut und Gottvertrauen nicht. Häufig ermahnte sie ihre beiden ältesten Söhne Friedrich Wilhelm und Wilhelm, die alt genug waren, um das Unglück Preußens zu verstehen, tüchtige Männer zu werden, damit sie das Vaterland aus der Erniedrigung einst zu erretten vermöchten.
Preußisch-Eylau und Friedland.
Im Anfange des Jahres 1807 war ein russisches Heer zur Unterstützung Preußens herangerückt. Es kam bei Preußisch-Eylau zu einer hartnäckigen, zweitägigen Schlacht, in welcher der preußische General Scharnhorst durch seine Geschicklichkeit verhinderte, daß Napoleon den Sieg erstritt. Das blutige Ringen blieb unentschieden, und Napoleon bot nach der Schlacht dem Könige Friedrich Wilhelm III. Frieden an, wenn er sich von Rußland trenne. Der König war aber zu ehrenhaft, um den Kaiser Alexander im Stich zu lassen. Denn dieser hatte zu ihm gesagt: „Nicht wahr, keiner von uns fällt allein? Entweder beide zusammen oder keiner!“ Er lehnte daher Napoleons Vorschläge ab. Einige Monate später wurde aber das russische Heer bei Friedland von Napoleon vernichtet.
Der Friede zu Tilsit.
Entmutigt durch die Niederlage von Friedland brach Kaiser Alexander sein Wort. In einer Unterredung, bei der ihm Napoleon die Teilung der Weltherrschaft zwischen Rußland und Frankreich in Aussicht stellte, gab er Preußen der Rache des übermütigen Siegers preis. Furchtbar hart waren die Friedensbedingungen, die Napoleon Preußen auferlegte. Alle Besitzungen westlich der Elbe mußten abgetreten werden, so daß Friedrich Wilhelm III. nur die kleinere Hälfte seines Landes behielt. Die polnischen Gebietsteile wurden Preußen ebenfalls entrissen.
Alexander I. scheute sich nicht, einen Teil davon an sich zu nehmen und so sein Reich auf Kosten seines bisherigen Verbündeten zu vergrößern. Napoleon forderte außerdem ungeheure Kriegskosten, die er später sogar noch willkürlich erhöhte. Bis zu ihrer Zahlung mußten 160 000 Mann französischer Truppen, die die preußischen Festungen besetzt hielten, ernährt werden. Über 1000 Millionen Mark wurden dem unglücklichen Lande in zwei Jahren abgenötigt.
Um eine Wiedererhebung Preußens unmöglich zu machen, durfte Friedrich Wilhelm nur ein Heer von 42 000 Mann unterhalten. Die Königin Luise versuchte, durch ihre Bitten Napoleon zu milderen Bedingungen zu bewegen; sie wurde aber von ihm hochmütig zurückgewiesen. Aus den Gebieten westlich der Elbe bildete Napoleon das Königreich Westfalen, dessen Hauptstadt Kassel wurde, und setzte einen seiner Brüder, Jérome Bonaparte, zum Könige ein.
Die Kontinentalsperre.
Das einzige Land, das Napoleon unbesiegt widerstand, war England. In zwei Seeschlachten war die französische Flotte von der englischen vernichtet worden, und kein französisches Schiff durfte wagen, den schützenden Hafen zu verlassen. Um das verhaßte Land zu schädigen, verbot Napoleon allen von ihm beherrschten Reichen, mit England Seehandel zu treiben. Auch Preußen und Rußland wurden genötigt, ihre Häfen den englischen Schiffen zu verschließen, so daß das gesamte europäische Festland für sie gesperrt war. Alle fremden Waren, wie Kaffee, Reis, Zucker, Tee, Gewürze usw., wurden dadurch unerschwinglich teuer, und alle Länder, die von der Kontinentalsperre betroffen wurden, erlitten großen Schaden. An den Meeresküsten entwickelte sich bald ein lebhafter Warenschmuggel.
Preußens Erneuerung.
Friedrich Wilhelm III. sah ein, daß alle Kräfte des preußischen Volkes aufgeboten werden mußten, wenn man eine Befreiung von dem Joche Napoleons erreichen wollte. Der Mann, der dem Könige bei dieser schweren Aufgabe als Ratgeber zur Seite stand, war der Reichsfreiherr von Stein. Er war wegen seiner vornehmen Gesinnung hochgeachtet, wegen seines schroffen Wesens aber auch gefürchtet. Mit klarem Blicke erkannte er, daß Vaterlandsliebe und Ehrgefühl im Volke von neuem geweckt werden mußten, daß es galt, den Bewohnern Preußens wieder Vertrauen auf die eigene Kraft einzuflößen und sie an selbständiges Handeln zu gewöhnen. Um dieses Ziel zu erreichen, änderte er durch eine Reihe wichtiger Gesetze die Einrichtungen des preußischen Staats.
Der Bauer war bisher dem Edelmanne erbuntertänig, d. h. er durfte die Scholle, auf der er geboren war, nicht verlassen. Für die Benutzung des Ackers, der nicht sein Eigentum war, hatte er schon Fronden und Abgaben zu leisten. Seine Kinder brauchten, wenn sie in fremden Dienst treten oder heiraten wollten, erst die Erlaubnis des Gutsherrn. Um dem Bauer Liebe zur heimatlichen Erde einzupflanzen, hob Freiherr von Stein die Erbuntertänigkeit auf. Dadurch machte er den Bauer zu einem freien Gutsbesitzer, der mit Lust auf seinem Lande tätig war und durch Arbeit nunmehr vorwärts kommen konnte.
Auch dem Handel oder dem Handwerke durfte er sich zuwenden. Für den Bürgerstand wurde die „Städteordnung“ gegeben. Bisher waren die Bürgermeister vom Könige ernannt worden, ohne daß man die Bewohner der Städte dabei fragte. Am liebsten nahm man ausgediente Offiziere, die aber für die Bedürfnisse und Wünsche der Einwohner oft wenig Verständnis besaßen. Von nun an wählten die Bürger Männer aus ihrer Mitte zu Stadtverordneten, und diese wählten die Mitglieder der ausführenden Obrigkeit, des Magistrats. Sie berieten selbst über die Einrichtungen ihrer Stadt und führten ihre Beschlüsse auch selbständig aus; die Regierung behielt nur die Oberaufsicht. Durch die Städteordnung wurde bei der städtischen Bevölkerung Teilnahme für die Angelegenheiten von Stadt und Staat geweckt. Bisher war in jedem Handwerke nur eine bestimmte Zahl von Meistern zugelassen.
Dieser Zunftzwang wurde abgeschafft, und jeder tüchtige Mann konnte von nun an selbständig sein Handwerk betreiben. Mit dieser „Gewerbefreiheit“ wurde der Grund für das Aufblühen der Industrie gelegt. Auch Grundbesitz konnte der Bürger von jetzt an erwerben; die Rittergüter blieben nicht mehr dem Adel vorbehalten. Der Edelmann anderseits durfte ungehindert Handel und Gewerbe treiben. Auf diese Weise wurden die Schranken zwischen den Gliedern des Volkes weggeschafft und alle Stände in den Dienst der Gesamtheit gestellt. Durch Verkauf von Staatsländereien und durch äußerste Sparsamkeit gelang es dem Freiherrn von Stein, fast die ganze Kriegsschuld abzutragen, so daß Napoleon nach zwei Jahren den größten Teil seiner Truppen aus Preußen zurückziehen mußte.
Das Heerwesen wurde durch General von Scharnhorst umgestaltet. Er war eines Bauern Sohn und hatte es durch außergewöhnliche Tüchtigkeit zu seiner hohen Stellung gebracht. Die Soldaten wurden nicht mehr wie bisher angeworben, sondern jeder gesunde Preuße war wehrpflichtig. Nicht eine Strafe, sondern eine Ehre war es von nun an, des Königs Rock zu tragen. Die Prügelstrafe wurde abgeschafft und die Kleidung der Soldaten zweckmäßiger eingerichtet. Die „allgemeine Wehrpflicht“ konnte allerdings erst später völlig durchgeführt werden, da Preußen nur 42 000 Mann unter Waffen halten durfte. Um jedoch eine größere Zahl kriegstüchtiger Männer zur Verfügung zu haben, entließ Scharnhorst von jeder Kompanie monatlich 5 – 6 Mann und stellte dafür wieder Rekruten ein. Die Offizierstellen wurden jedem zugänglich gemacht, der sich im Frieden durch Bildung, im Kriege durch Tapferkeit auszeichnete.
In geistiger Hinsicht bereitete sich ebenfalls eine Erneuerung im Volke vor. Einsichtsvolle Männer, wie der Professor Fichte, der Prediger Schleiermacher, der Dichter Arndt ermahnten in eindringlichen Worten die deutsche Jugend, die Selbstsucht abzulegen und für das Vaterland Opfer zu bringen. Der Gymnasiallehrer Jahn richtete Turnplätze ein, um das heranwachsende Geschlecht durch körperliche Übungen zur Befreiung des Vaterlandes tüchtig zu machen. Hauptsitz dieser Bewegungen war die Universität zu Berlin, die 1810 von Frankfurt a. O. dahin verlegt wurde.
Dem Kaiser Napoleon, der in Preußen zahlreiche Spione unterhielt, blieb dieses Erwachen eines neuen Lebens nicht unbekannt. Als ein Brief des Freiherrn von Stein, in dem er sich über seine Zukunftspläne aussprach, in französische Hände geriet, zwang daher Napoleon den König Friedrich Wilhelm III., den verdienstvollen Minister zu entlassen. Stein floh vor Napoleons Zorn nach Rußland und gewann dort bald großen Einfluß auf den Kaiser Alexander.
Tod der Königin Luise.
Die königliche Familie wohnte nach dem Frieden von Tilsit in Königsberg. Die Hofhaltung war so einfach wie möglich eingerichtet; ein großer Teil des goldnen und silbernen Tafelgerätes, das noch aus Friedrichs I. Zeit stammte, wurde verkauft. Im Jahre 1809 kehrte die königliche Familie auf Wunsch Napoleons nach Berlin zurück, obgleich dort noch eine französische Besatzung lag. Die edle Königin, deren Gesundheit in den letzten Jahren schwer gelitten hatte, sah hier mit innerer Freude, daß ein neuer Geist über das preußische Volk gekommen war. Als sie sich im Frühjahre zum Besuche ihres Vaters in Mecklenburg befand, brach ein altes Brustleiden wieder bei ihr aus.
Da sich die Krankheit verschlimmerte, eilte der König mit seinen beiden ältesten Söhnen Friedrich Wilhelm und Wilhelm an ihr Krankenlager. In Gegenwart ihres Gemahls und der beiden Prinzen, die weinend an ihrem Bette knieten, hauchte Königin Luise ihre edle Seele aus. Im Schloßgarten zu Charlottenburg ließ der König seine unvergeßliche Gemahlin beisetzen. Das preußische Volk trauerte aufrichtig mit der königlichen Familie über den Tod von „Preußens Schutzengel“.
Napoleon auf der Höhe seiner Macht.
Im Jahre 1809 zog der Kaiser von Österreich zum vierten Male gegen Napoleon das Schwert. Zugleich verjagten die treuen Tiroler unter Anführung von Andreas Hofer die Feinde aus dem Lande. Jetzt glaubten in Preußen viele vaterlandsliebende Männer, die Zeit der Befreiung sei gekommen, und rieten dem Könige zum Kampfe. Aber Friedrich Wilhelm III. wußte, daß das Fortbestehen Preußens auf dem Spiele stand, wenn ein neuer Krieg unglücklich endete. Da zog der Major von Schill mit seinem Husarenregimente eigenmächtig aus Berlin, drang in das Königreich Westfalen ein und begann auf eigene Faust den Krieg. Aber die Volkserhebung in Norddeutschland, auf die er gehofft hatte, blieb aus.
Er zog sich daher nach einigen glücklichen Gefechten vor der Übermacht nach Stralsund zurück, um sich dort nach England einzuschiffen. Die Stadt wurde jedoch von dem Feinde genommen, und Schill fiel im Straßenkampfe. Elf gefangene Offiziere ließ Napoleon in Wesel erschießen. Auch einige von den Schillschen Reitern erlitten in Braunschweig dasselbe Schicksal; die übrigen wurden nach Frankreich geschafft und wie Verbrecher mit Zwangsarbeiten beschäftigt. Österreich unterlag abermals und mußte einen schimpflichen Frieden schließen. Tirol wurde preisgegeben und von übermächtigen französischen und bayrischen Truppen besetzt. Andreas Hofer, der sich im Gebirge verborgen hatte, wurde verraten und in Mantua auf Napoleons Befehl erschossen. Napoleon stand jetzt auf der Höhe seiner Macht. Sein Reich erstreckte sich von den Pyrenäen bis zur Ostsee; die Niederlande und die deutsche Nordseeküste waren Frankreich einverleibt. Der Rheinbund, dem sich sogar Mecklenburg hatte anschließen müssen, stand völlig unter seiner Herrschaft.
Um seinen Thron zu sichern, wünschte Napoleon nun auch mit den alten Königsfamilien verwandt zu werden. Er ließ sich von seiner Gemahlin scheiden und vermählte sich mit der Tochter des Kaisers von Osterreich, den er kurz vorher in blutigen Kämpfen besiegt hatte. Als ihm ein Sohn geboren wurde, kannte seine Freude keine Grenzen, und er ernannte das Kind sogleich zum „Könige von Rom“.
Napoleons Zug nach Rußland.
Alexander I. von Rußland hatte die Kontinentalsperre gegen England nicht aufrechterhalten und dadurch Napoleons Zorn erregt. Dieser beschloß daher, auch Rußland zu unterwerfen. Im Frühjahr 1812 setzte sich ein ungeheures Heer (300.000 Franzosen, 200.000 Rheinbundstruppen, 100.000 Italiener, Polen u. a.) gegen Rußland in Bewegung. Österreich mußte 30.000 Mann Hilfstruppen stellen, und Friedrich Wilhelm wurde gezwungen, die Hälfte seines Heeres mit gegen Rußland ins Feld zu senden. „Die große Armee“ zog durch Preußen, und wiederum wurden dem verarmten Lande große Lieferungen an Lebensmitteln, Pferden usw. auferlegt. An der russischen Grenze hielt Napoleon Musterung über das Heer, von jeder Abteilung mit dem donnernden Rufe: „Es lebe der Kaiser!“ begrüßt. Nur eine Truppe erwartete ihn schweigend und stolz: die Preußen unter General York. Die russische Armee wurde in zwei mörderischen Schlachten besiegt und ging immer tiefer in das Innere des großen Reiches zurück.
Bald zog Napoleon in Moskau, der alten Hauptstadt Rußlands, ein, wo sein Heer nach den langen Märschen während des Winters Erholung zu finden hoffte. Aber die Franzosen fanden die Stadt von der Bevölkerung verlassen. Damit sie nicht in Moskau überwintern konnten, wurde die Stadt von den Russen angezündet und ging mit allen Vorräten in Flammen auf. Napoleon, der vergeblich versucht hatte, mit Alexander I. wegen des Friedens zu verhandeln, mußte den Rückzug befehlen. Da das Land bei dem ersten Durchmarsche schon ausgesogen war, litt das Heer große Not. Das Fleisch gefallener Pferde wurde ein gesuchter Leckerbissen
Bald gesellte sich zu dem Hunger ein noch grimmigerer Feind: der russische Winter. Durch Mangel an Nahrung und Kälte gingen viele Tausende von Kriegern elend zugrunde. Dazu wurde das zurückziehende Heer unaufhörlich von Scharen russischer Reiter beunruhigt, so daß sich jede Ordnung löste. Von der stolzen Armee erreichten noch ungefähr 30 000 Mann die preußische Grenze, ein Haufen von zerlumpten, völlig entkräfteten Bettlern. Napoleon war den Trümmern seines Heeres in einem Schlitten vorausgeeilt, um in Frankreich und in den Rheinbundstaaten neue Rüstungen anzuordnen. Als der Untergang der großen Armee in Preußen bekannt wurde, beherrschte der Gedanke: „Das sind Gottes Gerichte!“ alle Volkskreise.