Frei nach Dr. Hans Reinlein.

Gründung des neuen Deutschen Reiches.

a) Der Deutsch-Französische Krieg. 1870-1871.

Ursache.

Mit neidischen Augen sahen die Franzosen auf die wachsende Macht Preußens. Man suchte nach einem Vorwande zum Kriege, und er war bald gefunden. Die Spanier wählten sich nämlich um jene Zeit den Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen, einen Verwandten des Königs von Preußen, zu ihrem Könige. Dagegen erhoben die Franzosen heftigen Einspruch. Napoleon III., durch törichte Ratgeber aufgehetzt, verlangte vom König Wilhelm, daß er dem Prinzen die Annahme der spanischen Krone verbiete. Es genügte den hochmütigen Franzosen nicht, daß der König hierauf erklärte, er habe zu solchem Verbote kein Recht; auch das genügte nicht, daß der Prinz aus eigenem Antriebe auf die Krone verzichtete. In ihrer Verblendung forderten sie vom König Wilhelm sogar schriftlich das Versprechen, daß er die Bewerbung des Prinzen nicht von neuem zulassen werde. Entrüstet wies der König den französischen Gesandten Benedetti, der ihm diese Erklärung in Ems abforderte, zurück. Von diesen Ereignissen setzte der König Bismarck telegraphisch in Kenntnis. Dieser veröffentlichte die „Emser Depesche“ in verkürzter Form, um dem Volke zu zeigen, welche Demütigung man seinem König zugedacht hatte. Zwei Tage später beschloß Frankreich den Krieg gegen Preußen. Am 19. Juli traf die Kriegserklärung in Berlin ein, und an demselben Tage, dem Todestage seiner unvergeßlichen Mutter, erneuerte der König den Orden des Eisernen Kreuzes als Auszeichnung für tapfere Taten.

Rüstung.

Der König begab sich sofort nach Berlin, wo er mit lautem Jubel begrüßt wurde. Noch in der selben Nacht erteilte er den Befehl zur Mobilmachung der ganzen Armee. In wenigen Tagen stand sie gerüstet da. Mit dem Gesange: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht am Rhein!“ zog sie nach Westen. Auch die Süddeutschen (Bayern, Württemberger und Badener) griffen begeistert zu den Waffen. So einig hatte man das deutsche Volk noch nie gesehen. Napoleon war darüber sehr enttäuscht; denn er hatte bestimmt erwartet, daß sich Süddeutschland mit ihm verbünden werde. Es wurden nun drei große Armeen gebildet: die erste stand unter Steinmetz an der Mosel, die zweite unter dem Prinzen Friedrich Karl in der Rheinpfalz, die dritte unter dem Kronprinzen von Preußen etwas weiter südlich von Landau bis Karlsruhe. Den Oberbefehl über das ganze deutsche Heer übernahm König Wilhelm I. von Preußen; ihm zur Seite stand Graf Moltke als Generalstabschef und auch der Bundeskanzler Graf Bismarck begleitete ihn ins Feld. Die Franzosen stellten zwei Heere auf, das eine unter Bazaine bei Metz, das andere unter Mac Mahon bei Straßburg.

Weißenburg. 4. August.

Der Kronprinz, in dessen Armee die beiden bayerischen Armeekorps (unter den Generälen von der Tann und Hartmann) neben preußischen, württembergischen und badischen Truppen kämpften, überschritt zuerst die französische Grenze und rückte auf Weißenburg los. Auf dem nahen Geisberge hatten sich die Franzosen verschanzt. Unter dem mörderischen Feuer der feindlichen Batterien und Chassepots erklommen die Deutschen, ohne einen Schuß zu tun, den Berg und vertrieben die Franzosen aus ihren Verschanzungen. Dann ging es auf die Festung selbst los; die Tore wurden gesprengt und unaufhaltsam drangen die Deutschen in die Stadt ein. In den Häusern aber hielten sich viele Turkos verborgen, die aus den Fenstern und von den Dächern auf die Eindringenden feuerten. Diese jedoch schlugen mit dem Kolben Türen und Fenster ein und machten die Besatzungsmannschaften zu Gefangenen. Das war der „erste Schlag und der erste Sieg“. Ganz Deutschland jubelte laut.

Wörth. 6. August.

Zwei Tage später stieß der Kronprinz auf Mac Mahon, der bei Wörth die Vogesenpässe besetzt hielt. Auf den Höhen waren hinter Schanzen Kanonen und Kugelspritzen aufgestellt. Die Stadt selbst war stark mit Truppen angefüllt, und in den umliegenden Weinbergen lauerten ganze Schwärme tückischer Turkos. Am frühen Morgen begann der Kampf. Am heftigsten ward bei Wörth gestritten. Endlich dringen die Deutschen in die Stadt ein; hier setzt sich der Kampf auf der Straße und in den Häusern fort, bis die Stadt von Feinden gesäubert ist. Nun geht es jenseits der Stadt die Anhöhen hinan. Mit Geheul werden die Kämpfer von den Turkos empfangen. Zum Schießen ist bald keine Zeit mehr, und Kolben und Bajonett schmettern die schwarzen Afrikaner nieder. Ihre tierische Wut vermag nichts gegen die geordnete Kampfesweise der Deutschen. Nach zwölfstündigem Kampfe eilen die Franzosen in wilder Flucht davon.

Spichern. 6. August.

An demselben Tage siegte auch Steinmetz über die Franzosen, die den Spicherer Berg, südlich von Saarbrücken, besetzt hielten. Diese Stellung hielten sie für uneinnehmbar; aber die Deutschen krochen auf Händen und Füßen den steilen Berg hinan und vertrieben den Feind mit dem Bajonett aus seinen Verschanzungen. Die Franzosen waren über diese Kühnheit ganz entsetzt und zogen sich nach Metz zurück. Wenige Tage nach diesen ersten Siegen sah man in Berlin und auch großen Städten Deutschlands viele französische Soldaten, darunter zahlreiche schwarzbraune Turkos und Zuaven, als Gefangene. So freilich hatten sich die Franzosen die Sache nicht vorgestellt, als sie vor wenigen Wochen siegesmutig in Paris gerufen hatten: „Nach Berlin! Nach Berlin!“

b). Die Kämpfe bei Metz.

Bionville und Mars la Tour. 16.August.

Bei Metz zog Bazaine (basähn) eine große Armee zusammen. Bald merkten jedoch die Deutschen, daß es seine Absicht war, nach Westen abzuziehen und sich mit Mac Mahon zu vereinigen. Um diesen Plan zu vereiteln, suchte man ihm in Eilmärschen zuvorzukommen. Am 16. August entspann sich ein heftiger Kampf westlich von Metz bei Bionville und Mars la Tour. Der Feind hatte die Übermacht; dazu hatte er sich in den Wäldern eine feste Stellung geschaffen. Ganze Reihen der Deutschen wurden niedergeschmettert, aber andere rückten an ihre Stelle, und allmählich gelang es, den Wald zu erreichen. Jetzt kam das Bajonett an die Reihe, und bald mußten die Franzosen weichen. Der Todesritt. Immer weiter drangen die Tapferen vor: aber dort am Waldessrande pflanzten sich feindliche Batterien auf, leicht konnten die Kämpfer umzingelt und abgeschnitten werden. Da erhielten die Halberstädter Kürassiere und die altmärkischen Ulanen den Befehl, die Batterien zu nehmen. Mit Sturmeseile fliegen die Reiter die Höhen hinan, den Batterien entgegen. Schneller als Kanonen und Mitrailleusen gerichtet werden können, sind sie oben. Mit Lanze und Pallasch werden die Kanoniere niedergestreckt. In rasendem Jagen geht es nun gegen eine Infanteriekolonne: auch sie wird niedergeritten. Der Sturm saust weiter. Da brechen plötzlich aus einer Waldeslücke feindliche Kürassiere hervor. Schwadron prallt auf Schwadron: sie überreiten sich, sie schlagen sich nieder. Die Helden sinken blutend in den Staub und werden von Rosseshufen zertreten. Dann schwenken die deutschen Reiter und jagen zurück. Die elf Züge waren auf drei zusammengeschmolzen. Als Graf Schmottow, ihr Führer, zum Sammeln blasen ließ, kam ein Ton aus der Trompete heraus, der durch Mark und Bein ging: sie war zerschossen. Erst am Abend um 9 Uhr endete der blutige Kampf. Die Straße nach Westen war dem Feinde verlegt. (Gedicht: Die Trompete von Vionville.)

St. Privat und Gravelotte, 18. August.

Zwei Tage später versuchte Bazaine in der Richtung nach Gravelotte zu entkommen. Auf den Höhen zwischen Gravelotte und St. Privat hatte er Stellung genommen. An den Waldrändern waren Verschanzungen aufgeworfen und, damit man sie nicht sehen sollte, so mit grünen Baumzweigen bedeckt, daß man nur einen dichten Waldessaum vor sich zu haben glaubte. Der heißeste Kampf entspann sich um das Dorf St. Privat. Hier hatte der Feind hinter Gräben, Häusern und Mauern eine sehr gedeckte Stellung, und die anstürmenden Deutschen wurden mit einem mörderischen Kugelregen überschüttet. Die Soldaten warfen sich platt auf die Erde, liefen einige fünfzig Schritte und warfen sich dann wieder nieder. So erreichten sie endlich einen Chausseegraben, in dem sie längere Zeit Schutz fanden. Inzwischen richtete die Artillerie ihre Geschosse auf St. Privat, schoß ein Haus nach dem anderen in Brand und legte eine Mauer nach der anderen um. Gegen 7 Uhr nahmen die Deutschen das Dorf mit Sturm und machten viele Franzosen, die sich in Kellern und Ställen versteckt hielten, zu Gefangenen. Bazaine zog sich nach Metz zurück. Als dann noch spät am Abend die Franzosen auch bei Gravelotte vollständig zurückgeworfen wurden, da konnte Moltke dem Könige melden: „Majestät, der Sieg ist unser; der Feind zieht sich zurück.“ Infolge dieser mörderischen Schlachten um Metz mußte sich Bazaine mit seiner Armee in die Festung Metz zurückziehen. Hier umzingelte ihn Prinz Friedrich Karl und schloß ihn von allen Seiten fest ein.

c) Die Schlacht bei Sedan. 1. September 1870

Sedan.

Die III. Armee unter dem Kronprinzen von Preußen und die neugebildete IV. Armee unter dem Kronprinzen von Sachsen gingen jetzt gegen Mac Mahon vor, der im festen Lager von Chalons sein Heer neu geordnet hatte und Paris schützen wollte. Er bekam aber von dort den Befehl, dem eingeschlossenen Bazaine Hilfe zu bringen. Nun marschierte er in einem Bogen nach Norden und versuchte längs der belgischen Grenze an den Deutschen vorbeizukommen. Sobald die deutsche Heeresleitung von der Bewegung erfuhr, ließ sie die III. und IV. Armee eine bewundernswürdige Rechtsschwenkung machen. Am 30. August erreichten die Deutschen den Feind und schlugen einen Teil seines Heeres bei Beaumont. Mac Mahon hoffte, mit der Hauptmacht noch rechtzeitig zu entweichen. Bald war ihm aber von den deutschen Truppen der Weg versperrt.

Der Kampf.

Bei Sedan kam es am 1. September zur Entscheidungsschlacht. Die kleine Festung liegt im Tale der Maas und ist ringsum von Höhen umgeben, zwischen denen zahlreiche Dörfer liegen. Sie waren alle von den Franzosen stark besetzt und befestigt. Die Absicht der Deutschen war, das französische Heer in Sedan einzuschließen oder über die belgische Grenze zu drängen. Es war morgens 5 Uhr, als die Bayern den Kampf eröffneten. Bald donnerten ringsum die Geschütze. Ein Dorf nachdem anderen wurde erstürmt, und immer enger zogen die Deutschen den Feuerring um die Festung. Alle Tapferkeit der Franzosen, alle Anstrengungen ihrer Reiterei, den Ring zu durchbrechen, waren vergebens. Um 3 Uhr nachmittags zog sich das kaiserliche Heer in wilder Flucht nach Sedan zurück. 450 deutsche Geschütze richteten sich auf die Stadt. Da zeigte sie die weiße Fahne. Ein Offizier brachte dem König von Preußen einen Brief, in dem der Kaiser Napoleon schrieb: „Da es mir nicht vergönnt war, inmitten meiner Truppen zu sterben, so lege ich meinen Degen in die Hände Eurer Majestät.“

Übergabe.

In der Nacht fanden die Verhandlungen wegen der Übergabe statt. 100.000 Mann gerieten in Gefangenschaft. Viele Waffen und Pferde fielen dem Sieger in die Hände. Napoleon hatte früh am Morgen des 2. September die Festung verlassen, um von König Wilhelm mildere Bedingungen für das Heer zu erlangen. Eine Unterredung mit Bismarck führte nicht zum Ziel. König Wilhelm empfing ihn erst am Nachmittage, als alle Verhandlungen abgeschlossen waren. Großmütig wies er dem Gefangenen das Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel als vorläufigen Aufenthaltsort an. Einige Jahre später ist Napoleon in England gestorben. „Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!“ telegraphierte der König an seine Gemahlin. Unbeschreiblicher Jubel erfüllte Deutschland, Staunen und Bewunderung ganz Europa, als man die Kunde von der Gefangennahme Napoleons und seines ganzen Heeres vernahm. (Gedicht: Des deutschen Knaben Tischgebet.)

Beim Festmahle am folgenden Tage dankte König Wilhelm seinen Mitarbeitern mit den Worten: „Sie, Kriegsminister von Roon, haben unser Schwert geschärft; Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf von Bismarck, haben seit Jahren durch Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht!” In Paris wurde der Kaiser Napoleon sofort von der Volksvertretung abgesetzt und Frankreich für eine Republik erklärt. Die neugebildete Regierung, an deren Spitze Jules Favre und Gambetta standen, wollten wohl den Frieden, aber Deutschland sollte keinen Fußbreit Land, keine Festung haben. Damit aber konnten die Deutschen nicht zufrieden sein. Der Krieg musste mit der Republik fortgeführt werden.

Vor Paris. Die Umzingelung.

Von Sedan aus eilte der Kronprinz mit seiner Armee sofort nach Paris. Die Stadt selbst ist mit einer fast 40 km langen Ringmauer umgeben und außerdem durch viele starke Außenwerke geschützt. Schon am 19. September hatten 300.000 Deutsche in einem Umkreise von 75 km die Riesenstadt umzingelt. An allen wichtigen Punkten wurden Schanzen aufgeworfen und in endlosen Linien doppelte, ja dreifache Schützengräben gezogen. Die Gartenmauern wurden mit Schießscharten versehen, und wo es sonst kein Deckungsmittel gab, errichtete man aus Fässern, Balken, Hundehütten, Matratzen usw. Barrikaden. Durch fortwährendes Feuern suchten die Franzosen alle diese Arbeiten zu stören; und wo nur eine Helmspitze, eine Lanze auftauchte, wo in der Dunkelheit ein Fenster erleuchtet war oder ein Soldat sich die Zigarre anzündete, dahin sandten sie sofort ihre Granaten. Die Deutschen aber machten sich über diese Pulververschwendung lustig, steckten Strohmänner in alte Uniformen, verfertigten Geschützmündungen aus Pappe und lachten sich halbtot, wenn die Franzosen wie wütend auf Pappe und Stroh losknallten: sie sparten ihr Pulver für eine bessere Gelegenheit.

Im Quartier.

Die Bewohner der umliegenden Ortschaften hatten sich beim Herannahen der Deutschen nach Paris geflüchtet. Haus und Hof standen leer, und außer Hund oder Katze war oft kein lebendes Wesen zurück geblieben. Die Soldaten aber machten es sich in den verlassenen Häusern so bequem wie möglich. Hier und da wohnten die Mannschaften in prächtigen, aber verlassenen Schlössern. Da blitzten die Wände von Spiegeln; der Fußboden ist mit Teppichen belegt, und auf den weichen Sofas ruht es sich recht behaglich. Die Gärten bieten Obst, Gemüse und Kartoffeln, in den Kellern sind große Weinvorräte: Brot und Wein wird reichlich geliefert, und an „Liebeszigarren“ ist auch kein Mangel. Das Leben wäre hier ganz erträglich gewesen, wenn nur nicht fortwährend der Kanonendonner dazwischen gebrummt und der Vorpostendienst die behagliche Ruhe gestört hätte.

Kampf und Übergabe.

In Paris hatte man wohl an 300.000 Mann, zum größten Teil Mobilgarden (eine Art Landwehr), zusammengezogen. Bald hier, bald dort wurde ein Ausfall gemacht, aber immer wurden die Franzosen von den Deutschen zurückgeschlagen. Die Pariser lebten in großer Angst. Keinen Abend mehr brannten sie Gas, aus Furcht, eine Bombe könne einschlagen. Aber erst um Weihnachten begann die eigentliche Beschießung. Ein Außenwerk nachdem anderen wurden zum Schweigen gebracht, und immer enger zog sich der Kreis um die Stadt zusammen. An 20.000 Granaten wurden täglich in die Stadt hineingeworfen, und an verschiedenen Orten entstand Feuer. Schlimmer aber noch war der Mangel an Lebensmitteln, der sich bald einstellte. Schon seit Mitte Dezember war Pferdefleisch ein Leckerbissen geworden. Man verschmähte weder Hund noch Katze und zahlte für eine Ratte sogar 1-2 M. Auch an Holz und Kohlen fehlte es, und der Winter war bitter kalt. Krankheiten aller Art stellten sich ein; ganz besonders wüteten die Pocken. Kein Stand, keine Familie blieb von den Leiden und Entbehrungen der Belagerung verschont. Von Tag zu Tag wurde die Not größer. Noch einmal, am 19. Januar, sollte ein Rettungsversuch gemacht werden. Ungeheure Truppenmassen versuchten in westlicher Richtung den Durchbruch. Aber die Deutschen hielten hinter den Schanzen wacker stand. Am Abend mußten die Franzosen wieder zurück; der eiserne Ring blieb geschlossen.

Überall Sieg.

Während der Belagerung von Paris hatte König Wilhelm sein Hauptquartier in dem Schlosse zu Versailles. Fast täglich gingen Nachrichten von neuen Siegen ein. Schon am 27. September war Straßburg gefallen. Metz umschloß Prinz Friedrich Karl mit einem eisernen Ring. Es war eine schwere Aufgabe, die stark befestigte Stadt zu erobern. Der Hunger sollte sie bezwingen. Man mußte jeden Augenblick darauf gefaßt sein, daß die gewaltige französische Armee einen Durchbruch versuchen würde. Die Deutschen warfen hohe Schanzen auf, zogen Schützengräben und waren Tag und Nacht bereit, jeden Ausfall blutig zurückzuweisen. Anhaltender Regen machte den Dienst noch schwerer. Die Soldaten standen stundenlang im tiefen Schmutz oder lagen in den mit Wasser gefüllten Schützengräben. Nach dem Dienst fanden sie im nassen Stroh ihrer Laubhütten keine erquickende Ruhe. Bazaine wartete auf Hilfe von außen. Damit verging die Zeit. Bald fehlte es an Lebensmitteln, selbst die Pferde waren geschlachtet; Seuchen hielten ihren verheerenden Einzug. Da öffnete die Stadt am 27. Oktober ihre Tore. 170.000 Mann gerieten in Gefangenschaft. Es war Zeit, daß die Belagerungstruppen für andere Kriegsarbeit frei wurden. Gambetta hatte inzwischen das belagerte Paris im Luftballon verlassen und mit großem Eifer neue Heere, die Loire- und die Nordarmee, aufgestellt und mit Hilfe der Amerikaner und Engländer ausgerüstet. Die Kriegsflotte des Norddeutschen Bundes war nicht stark genug, die Einfuhr der Waffen zu hindern. Die neuen Heere sollten Paris befreien. Überall bildeten sich Freischaren (Franktireurs), die das Land durchstreiften und in Wald und Feld den Deutschen auflauerten. Prinz Friedrich Karl konnte sich jetzt zur Unterstützung der Bayern gegen die französische Loirearmee wenden, die bei Orleans (4. Dezember) und Le Mans (10.—12. Januar) vernichtet wurde. General Göben besiegte die Nordarmee bei St. Quentin (19. Januar). Im Südosten hatte General Werder, der Eroberer Straßburgs, gegen den Freischarenführer Garibaldi harte Kämpfe zu bestehen. Dann erschien hier Bourbaki in der Absicht, die Verbindung der deutschen Heere mit ihrer Heimat abzuschneiden und einen Einfall in Süddeutschland zu machen. In der dreitägigen Schlacht an der Lisaine besiegt, mußte er diesen Plan aufgeben. Er wurde dann von General Manteuffel über die Schweizer Grenze gedrängt, wo 80.000 Mann die Waffen streckten. Indessen hatten auch die Pariser eingesehen, daß längerer Widerstand nutzlos war. Am 28. Januar ergab sich die Stadt. Sämtliche Besatzungsmannschaften wurden zu Gefangenen gemacht, dazu mußten 160 Millionen Mark Kriegskosten von der Stadt gezahlt werden. In sieben Monaten waren 16 große Schlachten gewonnen, 26 Festungen erobert und über 370.000 Franzosen zu Gefangenen gemacht worden. Frankreichs Macht war gebrochen.

Friede.

Gleich an die Übergabe von Paris schloß sich ein Waffenstillstand, dem dann der Friede zu Frankfurt a. M. folgte (10. Mai 1871). Frankreich mußte das Elsaß und den deutschen Teil Lothringens abtreten und 4.000 Millionen (4 Milliarden) Mark Kriegskosten zahlen. Die deutschen Truppen kehrten nun in ihre Heimat zurück; überall wurden sie mit Jubel empfangen. Am großartigsten war der Einzug der Truppen in Berlin. Die ganze Stadt war mit Fahnen, Laubgewinden und Kränzen geschmückt, und eine halbe Million Fremder war zu dieser Festlichkeit herbeigeeilt. Als bleibendes Andenken wurde später die Siegessäule errichtet. Glanzvoll gestaltete sich auch der Empfang der bayerischen Truppen, die mit ihrem tapferen Führer, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm an der Spitze, am 16. Juli 1871 unter Glockengeläute und Kanonendonner durch das Siegestor in München einzogen.

d) Das neue Deutsche Reich.

Aufrichtung des Deutschen Reiches.

Die gemeinsamen Siege aller deutschen Völker hatten das Gefühl der Zusammengehörigkeit aufs neue geweckt; überall brach das Verlangen nach Einigkeit mächtig hervor. Die Fürsten, allen voran der König Ludwig II. von Bayern, so wie die Völker richteten daher an König Wilhelm die Bitte, den deutschen Kaisertitel anzunehmen. Der König erfüllte den allgemeinen Wunsch, und am 18. Januar 1871 wurde das im Jahre 1806 zusammengesunkene Deutsche Reich neu errichtet. Die bedeutungsvolle Feier fand, während noch vor Paris die Kanonen donnerten, im Schlosse zu Versailles statt. In einem großen Saale war ein Altar hergerichtet worden. Um 1 1/2halb Uhr erschien der König mit dem Kronprinzen, vielen Fürsten, Ministern und Generalen und stellte sich mit ihnen vor dem Altar auf. Ein kurzer Gottesdienst wurde abgehalten. Dann trat der König vor und erklärte mit lauter Stimme vor den versammelten Offizieren und den mit dem Eisernen Kreuze geschmückten Kriegern, daß er die ihm von den Fürsten und dem Volke dargebotene Kaiserkrone annehme. Gleich darauf verlas Graf Bismarck die Ernennung König Wilhelms zum Deutschen Kaiser. Zum Schlusse trat der Großherzog von Baden vor und rief: „Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!“ Die ganze Versammlung stimmte dreimal begeistert in diesen Ruf ein, und die Musik spielte: „Heil dir im Siegerkranz“. So war denn nun endlich erfüllt, was das deutsche Volk solange erseht hatte. Der alte Barbarossa war erwacht, die Raben – Hader und Zwietracht – waren verschwunden, und der längst verwelkte Baum – das Deutsche Reich – begann unter dem Zepter des Kaisers zu grünen und zu blühen.

Verfassung des Deutschen Reiches.

Das Deutsche Reich ist ein Bundesstaat, zu dem 26 Staaten gehören. Das Oberhaupt ist der König von Preußen als erblicher Deutscher Kaiser. Unter seinem Oberbefehl stehen Heer und Marine. Er kann Krieg erklären und Frieden schließen. Er ernennt die Reichsbeamten, beruft, eröffnet, vertagt und schließt den Reichstag. Die gesetzgebende Gewalt haben der Bundesrat und der Reichstag. Der Bundesrat besteht aus den Vertretern der deutschen Bundesfürsten. Der Reichstag wird in geheimer Abstimmung vom Volke auf fünf Jahre gewählt. Jeder 25 Jahre alte, unbescholtene Deutsche darf wählen und kann gewählt werden. Es gibt 397 Abgeordnete (davon 48 aus Bayern). Sind die Gesetze vom Bundesrat und Reichstag angenommen, so verkündigt sie der Kaiser. Der oberste Reichsbeamte ist der Reichskanzler. Er ist der Vorsitzende des Bundesrates und trägt die Verantwortung für alle Handlungen der Regierung. Für die einzelnen Angelegenheiten des Reiches sind besondere Reichsämter gebildet: Das Auswärtige Amt, das Reichsamt des Innern, das Reichsmarineamt, das Reichsschatzamt, das Reichspostamt, das Reichsjustizamt und das Reichseisenbahnamt. An der Spitze jedes Amtes steht ein Staatssekretär.

Quelle: Bayerisches Realienbuch. Hans Reinlein. Seiten 123-142.