[Geschichte des Gesamthauses]. Das gegenwärtige reußische Gebiet war einst im Besitz der Sorben und gehörte nach deren Unterwerfung zur Mark Zeitz. Otto III. verlieh 999 die Landschaft Gera dem Kloster Quedlinburg, und Kaiser Heinrich IV. übertrug seinem Marschall Heinrich dem Frommen von Gleißberg (gest. um 1120) die Vogteien Gera und Weida. Heinrich ist der Ahnherr des reußischen Fürstenhauses. Sein Enkel Heinrich der Reiche (gest. um 1200) erwarb durch Heirat die Vogteien zu Greiz, Hof und Plauen. Heinrichs des Reichen zweiter Sohn, Heinrich IV. (gest. 1250), Landmeister des Deutschen Ordens in Preußen, setzte das Geschlecht fort. Seine Söhne teilten (etwa um 1244) und stifteten die drei Linien Weida, Plauen und Gera, deren jede den Vogtstitel führte.
Die Weidasche Linie (Stammvater Heinrich VII.) besatz die Herrschaften Weida und Greiz, die Pflegen Ronneburg und Werde, das Regnitzland, die Stadt Hof und Schloß Hirschberg a. S., verkaufte Hof und das Regnitzland 1373 an die Burggrafen von Nürnberg und Weida 1427 an Kursachsen, erwarb dagegen Schloß und Herrschaft Wildenfels (1454), worin ihre Glieder den Titel Vögte von Weida und Wildenfels führten, bis sie 1532 erlosch.
Die Linie Gera wurde von Heinrich I., Sohn Heinrichs IV., gegründet, der bei der Teilung nur Gera und das Land westlich der Elster erhielt, später jedoch den östlichen Teil von Weida kaufte. Seine Enkel Heinrich VI. (gest. um 1343) und Heinrich VII. (gest. 1377) besaßen als Reichslandrichter, jener im Pleißener Land, dieser in Meißen, Osterland und Landsberg, einflußreiche Stellungen. Doch mußte letzterer, Haupt der Linie seit 1347, 1371 die Herrschaft Lobenstein von Böhmen, 1374 Schleiz, Saalburg und Reichenfels von Thüringen zu Lehen nehmen. Heinrich XI., der mittlere, des vorigen älterer Sohn, setzte das Geschlecht fort; seine drei Söhne teilten, so daß der ältere Gera, der mittlere Schleiz, der jüngere Lobenstein erhielt. Doch vereinigte Heinrich XV., der mittlere, um 1497 wieder alle Besitzungen dieser Linie. Nach seinem Tode (1502) teilten seine Söhne Heinrich XVIII. und Heinrich XIX. wiederholt, doch beerbte der jüngere 1538 den Bruder. Heinrich, der um 1543 die Reformation eingeführt hatte, mußte nach der Schlacht bei Mühlberg 1547 seine Besitzungen von Böhmen zu Lehen nehmen und außerdem Gera an den Burggrafen zu Meißen, Heinrich von Plauen, abtreten. Mit seinem Tode 1550 erlosch die Linie Gera, und Heinrich von Plauen trat die Erbschaft an.
Die Linie Plauen (Stammvater Heinrichs IV. mittlerer Sohn Heinrich) erhielt die Stammherrschaft Plauen mit Vogtsberg, und ihr Stifter nannte sich daher Heinrich I., Vogt von Plauen. Seine beiden Söhne, Heinrich der Böhme und Heinrich der Reuße, sind die Stifter der beiden Linien Plauen, von denen die jüngere noch heute blüht.
In der ältern Linie Plauen gingen unter Heinrichs des Böhmen Nachkommen die Besitzungen fast unvermindert stets auf den ältesten Sohn über. Unter ihnen sind am bekanntesten Heinrich XI., der als Hofrichter Kaiser Siegmunds in Konstanz 1417 das über Huß gefällte Urteil für rechtswidrig erklärte, und sein Bruder Heinrich, der Hochmeister des Deutschen Ordens (s. Heinrich von Plauen). Heinrich XI. ward vom Kaiser 1426 mit der erledigten Burggrafschaft Meißen belehnt und zum Reichsfürsten ernannt, weshalb er den Namen Heinrich I. annahm. Sein ältester Sohn, Heinrich II. (gest. 1446), kam wegen des Burggraftums mit dem Kurfürsten von Sachsen in Streit und mußte es auf Verfügung des Königs Abrecht II. 1439 an den Kurfürsten gegen eine Entschädigung von 16,000 rhein. Gulden nebst allem Zubehör abtreten, doch blieben ihm Titel und Wappen. 1572 ging dann die Burggrafschaft Meißen definitiv an Kursachsen über. Heinrich III., des vorigen Sohn, verlor 1482 seine vogtländischen Besitzungen an Sachsen und erhielt dafür böhmische Güter als Entschädigung. Erst sein Enkel Heinrich V. (gest. 1554), kaiserlicher Kämmerer und oberster Kanzler von Böhmen, erhielt für die Dienste, die er dem Kaiser in dem Schmalkaldischen Kriege geleistet hatte, die Sachsen entrissenen vogtländischen und böhmischen Lehen und die Herrschaften Vogtsberg, Plauen, Ölsnitz, Adorf, Schöneck sowie die böhmische Herrschaft Graslitz zurück und wurde 1550 nach dem Aussterben der Linie Gera auch mit Gera, Schleiz, Lobenstein und Saalburg belehnt. Im Auftrage König Ferdinands eroberte er 1553 die brandenburgische Stadt Hof und erhielt als Entschädigung für die Kriegskosten die Hauptmannschaft von Hof und mehrere Ämter auf dem Fichtelgebirge. Unter seinen zwei Söhnen, Heinrich VI. und Heinrich VII., ging das durch ihren Vater Erworbene wieder verloren. Beide Brüder starben verarmt und kinderlos, der jüngere 1572; mit ihm erlosch die ältere Plauensche Linie.
Die jüngere Plauensche Linie gründete Heinrich der Reuße, der erste dieses Namens; so hieß er wegen seines langen Aufenthalts und seiner Abenteuer in Rußland und starb vor 1309. Dessen Sohn Heinrich II. erhielt 1325 vom Kaiser Reichenbach und Mylau zu Lehen, vom Landgrafen Friedrich Meißen und das Schloß Waldeck. Im folgenden Jahr verlieh der Kaiser allen Plauenschen Linien eine Goldene Bulle über ihre landesherrlichen Regalien. Des obigen Sohn Heinrich der Strenge (1349–59) verlor durch eine Fehde mit dem Markgrafen Friedrich dem Strengen von Meißen (1355–57) Triptis, Auma und Ziegenrück. Die drei Söhne desselben teilten das väterliche Erbe unter sich; doch starb der mittlere derselben (1372) wie der jüngere (um 1407) ohne Erben, und ihre Lande fielen als eröffnete Lehen an den Landgrafen von Thüringen. Der älteste setzte das Geschlecht fort; von seinen zwei Enkeln trat der zweite in den Deutschen Orden und wurde 1469 Hochmeister, während die beiden andern (1451) die Herrschaften Ober- und Niederkranichfeld an sich brachten. Von den fünf Söhnen des ältern der letztgenannten hatte nur einer, Heinrich XVI. (gest. 1535), Nachkommen, die infolge der Teilnahme am Schmalkaldischen Krieg auf protestantischer Seite der Reichsacht verfielen und alle sächsischen und böhmischen Lehen verloren. Später[842] erhielten sie teilweise ihre Länder zurück und spalteten sich 1564 in drei Linien, die ältere, mittlere und jüngere.
Die ältere Linie R. von Plauen auf Untergreiz hatte Heinrich I. oder den ältern, der 1572 starb, zum Stifter. Nachdem 1616 die mittlere Linie (s. unten) erloschen und ihr Besitz der ältern Linie zugefallen war, nannte sich diese von da an R.-Greiz. 1625 entstanden innerhalb dieser Linie durch Teilung die beiden Häuser R.-Obergreiz und R.-Untergreiz. 1671 nahmen sämtliche Herren R. von Plauen den Grafentitel an, nachdem durch den Nebenrezeß vom 13. Nov. 1668 die genauere Bezeichnung der Heinriche von R. durch Beifügung von Nummern eingeführt worden war. 1681 wurde vereinbart, künftig weitere Teilungen zu vermeiden; 1690 ward die Primogenitur eingeführt. Das Haus Untergreiz erlosch 1768; seine Besitzungen fielen an Obergreiz, wo Heinrich XI. (1743–1800) regierte. Dieser wurde 1778 mit seinem ganzen Haus in den Reichsfürstenstand erhoben, und so entstand das noch heute bestehende Fürstentum R. älterer Linie (s. unten).
Die mittlere Linie R. von Plauen auf Obergreiz, die Heinrichs XVI. zweiter Sohn, Heinrich der Mittlere, bei der Teilung von 1564 gründete, erlosch schon 1616; ihr Besitz fiel an die ältere Linie (s. oben).
Die jüngere Linie R. von Plauen zu Gera gründete 1564 Heinrichs XVI. jüngerer Sohn. Er veranlaßte 1567 in Gemeinschaft mit dem Vetter von Obergreiz und den Herren von Schönburg auf Glauchau die Bearbeitung der in den drei Gebieten eingeführten reußischen (geraischen) Konfession.
Sein Sohn Heinrich 11. Posthumus, seit 1595 selbständig, erwarb 1613 das später auf alle reußischen Lande ausgedehnte Privilegium de non appellando. Bei der Teilung von 1647 erhielt Heinrich II. ganz Gera, Heinrich IX. Schleiz, Heinrich X. Lobenstein und ihr Neffe Heinrich I. Saalburg nebst Teilen von Schleiz und Lobenstein. Da aber 1666 Heinrich IX. unvermählt starb, so erfolgte eine neue Teilung, in der ganz Schleiz an Heinrich I. fiel, während Saalburg nebst Zubehör unter die drei vorhandenen Linien geteilt wurde. So entstanden drei gesonderte Teile, die R.-Gera, R.-Schleiz und R.-Lobenstein hießen, für welche die obenerwähnten Vereinbarungen von 1668 (Führung des Namens Heinrich mit Nummer), 1681 (Verbot der Teilungen) und 1690 (Einführung der Primogenitur) ebenfalls Gültigkeit erlangten. Die Trennung hat bis 1. Okt. 1848 Bestand gehabt. Die Geraische Linie starb 1802 aus, und bis zur Vereinigung 1848 führten die andern Linien die Regierung über das Land gemeinsam. – Die Schleizer Linie, die noch heute als »Fürsten von R. j. L.« blüht, erbte 1802 die Hälfte des Besitzes der Geraischen Linie, ward 9. April 1806 gefürstet, trat dem Rheinbund und 1815 dem Deutschen Bund bei und erbte 1848 auch den Besitz der Lobensteinschen Linie. Somit war aller seit 1666 getrennter Besitz wieder vereinigt und bildet seitdem den jetzigen Bundesstaat R. jüngerer Linie (s. unten). Infolge des Verbots weiterer Teilungen war das Staatsgebiet zwar nicht mehr zerstückelt worden, aber Nebenlinien hatten sich auch ferner abgezweigt: die 1692 gestiftete Nebenlinie R.-Schleiz–Köstritz hat sich wieder gespalten, und zwar wurde die ältere, nicht souveräne (Paragiats-) Linie R.-Köstritz 1817 nach dem Rechte der Erstgeburt gefürstet, während die übrigen Glieder den prinzlichen Titel führen. Das Paragiat Köstritz ist Sekundogenitur des fürstlichen Hauses R. j. L. Gegenwärtiger Fürst ist Heinrich XXIV. seit 24. Juli 1894. Dieser Linie gehört Prinz Heinrich VII., der frühere Botschafter Deutschlands in Wien, an. Die jüngere Linie R.-Köstritz stammt von Heinrich XXIII. (gest. 1787) ab und führt seit 1867 den Prinzentitel. – Die Lobensteinsche Linie trennte sich schon 1678 wieder in die Lobensteiner Speziallinie (1790 gefürstet und 1805 im Hauptstamm, 1824 auch in dem Zweige Selbitz ausgestorben), die Hirschberger Speziallinie (1711 ausgestorben) und die Ebersdorfer Speziallinie. Letztere wurde 1806 gefürstet, trat dem Rheinbund und 1815 dem Deutschen Bunde bei und beerbte 1824 die Lobensteiner, deren Herren ebenfalls souveräne Rheinbundfürsten gewesen und dem Deutschen Bund beigetreten waren. Der seit 1822 regierende Fürst Heinrich LXXII. entsagte 1. Okt. 1848 der Regierung und starb 17. Febr. 1853 in Dresden. Sein Erbe fiel an die nunmehr allen 1666 getrennten Besitz wieder vereinigende Schleizer Linie.
[Geschichte des Fürstentums Reuß ä. L.] Das in seiner jetzigen Gestalt 1778 (s. oben) entstandene Fürstentum hatte zu Herren Heinrich XI. (1743 bis 1800), Heinrich XIII. (1800–1817), der Generalfeldzeugmeister in österreichischem Dienst war und 1807 dem Rheinbund, 1815 dem Deutschen Bund beitrat, und Heinrich XIX. (1817–36). Letzterer starb ohne Söhne, deshalb folgte ihm der Bruder Heinrich XX. (1836–59), der seinem Lande 1848 eine Verfassung gab, die jedoch nicht durchgeführt wurde. Sein Nachfolger war der unmündige Heinrich XXII. (1859–1902, s. Heinrich 53), der bis 1867 unter der Vormundschaft seiner Mutter Karoline stand. Letztere, streng konservativ gesinnt, stand 1866 gegen Preußen, schloß erst 26. Sept. 1866 Frieden mit Preußen, und das Land trat nach Zahlung von 100,000 Talern Kriegsstrafe dem Norddeutschen Bunde bei. Heinrich XXII. führte bei seinem Regierungsantritt eine neue ständische Volksvertretung mit allerdings wenig weitgreifender Mitwirkung bei der Finanzverwaltung und Gesetzgebung ein. Am 1. Juli 1867 ging die Militärhoheit im Fürstentum an Preußen über, 1871 wurde es Bundesstaat des Deutschen Reiches. Nichtsdestoweniger trug der Fürst seine Abneigung gegen Preußen und das Reich offen zur Schau und brachte dies auch in seinen Regierungshandlungen, wo er nur konnte, zum Ausdruck. Da sein Sohn und rechtmäßiger Thronerbe Heinrich XXIV. (geb. 1878) wegen geistigen Schwachsinns zur Regierung nicht fähig ist, wurde 1902 eine Regentschaft eingesetzt, zu deren Führung der regierende Fürst von R. j. L., Heinrich XIV., als nächster volljähriger Agnat des fürstlichen Gesamthauses berufen war. Nach dem Ableben Heinrichs XXIV. wird ihm oder seinem Nachkommen das Fürstentum als Erbe zufallen, und dann werden die beiden Fürstentümer in einer Hand vereinigt sein. Der Regent hat während seiner Tätigkeit dauernd, aber schonend mit Einrichtungen aufgeräumt, die sein Vorgänger geschaffen hatte. Schon mit Ablauf des Jahres 1902 stellte die reichsfeindliche »Landeszeitung für das Fürstentum R. ä. L.« ihr Erscheinen ein; eine Verordnung aus dem Jahre 1855, welche die Bildung politischer Vereine vollständig verbot, wurde aufgehoben, und der gemeinschaftliche stellvertretende Bevollmächtigte der thüringischen Staaten beim Bundesrat wurde auch von dem Regenten für R. ä. L. für dieses Fürstentum bevollmächtigt. 1905 wurde ein Lotterievertrag mit Preußen geschlossen, während bis dahin R. dem hessisch-thüringischen Lotterieverband angehörte. Im Landtage sitzt ein Sozialdemokrat.[843]
Die Geschichte des Fürstentums Reuß j. L. findest du hier.
Vgl. Bertold Schmidt, Die Reußen, Genealogie des Gesamthauses R. (Schleiz 1903), Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen (Jena 1885 bis 1892, 2 Bde.) und Das reußische Wappen und die reußischen Landesfarben (Hohenleuben 1892); Maier, Chronik des fürstlichen Hauses der Reußen von Plauen (Leipz. 1811); Limmer, Entwurf einer urkundlichen Geschichte des gesamten Vogtlandes (Gera 1825–28, 4 Bde.) und Kurze Geschichte des Hauses R. (Ronneburg 1829); Brückner, Landes– und Volkskunde des Fürstentums R. j. L. (Gera 1870, 2 Bde.); Marquardsens »Handbuch des öffentlichen Rechts«, Bd. 3, 2. Abt. (Freiburg 1884): R. ältere Linie, von Liebmann; R. jüngere Linie, von R. Müller; Sieber, Die Forsten des regierenden Fürstenhauses R. j. L. in der Zeit vom 17. bis 19. Jahrhundert (Berl. 1902); Jahresberichte des Vogtländischen altertumsforschenden Vereins zu Hohenleuben (1828 ff.); Auerbach, Bibliotheca Ruthenea (Bibliographie, Gera 1892).