Wilhelm II.
Kaiser Wilhelm II., der älteste Sohn des Kaisers Friedrich, erblickte am 27. Januar 1859 das Licht der Welt. Wie bei allen Hohenzollernprinzen, so ging auch bei ihm die Ausbildung des Geistes und Körpers Hand in Hand. Der Vater hielt streng darauf, daß an Fleiß, Pünktlichkeit und Ausdauer seines Sohnes die höchsten Anforderungen gestellt wurden. Als Knabe sah er Vater und Großvater in den Krieg ziehen, und Begeisterung erfüllte ihn, wenn er von den hohen Taten hörte, die unter ihrer Führung geschahen.
Nachdem der Prinz im Herbst 1874 konfirmiert worden war, brachten ihn seine Eltern selbst auf das Gymnasium nah Kassel. Er war der erste Hohenzoller, der eine öffentliche Schule besuchte. Seine Lehrer waren angewiesen, mit dem Prinzen gar keine Ausnahme zu machen. Sie nannten ihn „Prinz Wilhelm“ und „Sie“, nicht „Königliche Hoheit“.
Nachdem er 1877 die Abgangsprüfung mit Ehren bestanden hatte, bezog er die Universität Bonn, um Rechts- und Staatswissenschaften zu studieren; mit Vorliebe beschäftigte er sich daneben mit Weltgeschichte. An dem fröhlichen Leben und Treiben der Studenten nahm der Prinz in frischer Jugendlust teil. Nach zwei Jahren führte ihn kein Geringerer als Fürst Bismarck in die Staatskunst ein. Mit Leib und Seele war Prinz Wilhelm Soldat.
Im Alter von 18 Jahren trat der Prinz als Leutnant beim 1. Garderegiment zu Fuß in Potsdam ein. Sein Großvater, Kaiser Wilhelm I., ermahnte ihn vor den versammelten Offizieren, ein tüchtiger Soldat zu werden, und entließ ihn mit den Worten: „Nun gehe hin und tue deine Pflicht!“ Den Dienst der verschiedenen Waffengattungen lernte er gründlich kennen, und es erfüllte ihn mit besonderer Freude, als ihn der berühmte Heerführer Prinz Friedrich Karl einst wegen seiner geschickten Führung des Garde-Husarenregiments lobte.
Vermählung.
Im Jahre 1881 vermählte sich Prinz Wilhelm mit der Prinzessin Auguste Viktoria, der ältesten Tochter des Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Die junge Fürstin gewann sich durch ihre natürliche Anmut und große Herzensgüte bald die Zuneigung der kaiserlichen Familie und die Liebe des Volkes. Am 6. Mai 1882 wurde dem Prinzen der erste Sohn, der Kronprinz Wilhelm, geboren. Noch fünf Söhne, die Prinzen Eitel Friedrich, Adalbert, August Wilhelm, Oskar, Joachim und eine Tochter, die Prinzessin Viktoria Luise, die alle fröhlich gediehen, wurden dem jungen fürstlichen Ehepaare im Laufe der Jahre geschenkt. Ein inniges Band der Liebe umschlingt Eltern und Kinder zu einem glücklichen und vorbildlichen Familienleben.
Regierungsantritt.
Am 15. Juni 1888, im Alter von 29 Jahren, übernahm Wilhelm II. die preußische Königskrone und die deutsche Kaiserwürde. Wie sehr ihm des Volkes Wohl am Herzen liegt, davon zeugt sein Erlaß „An mein Volk“, worin er sagt: „Auf den Thron Meiner Väter berufen, habe ich die Regierung im Aufblicke zu dem Könige aller Könige übernommen und Gott gelobt, nah dem Beispiele Meiner Väter Meinem Volke ein gerechter und milder Fürst zu sein, Frömmigkeit und Gottesfurcht zu pflegen, den Frieden zu schirmen, die Wohlfahrt des Landes zu fördern, den Armen und Bedrängten ein Helfer, dem Rechte ein treuer Wächter zu sein.“
Der Kaiser hat sich die Erhaltung des Friedens in Europa zum Ziel gesetzt. Deshalb stattete er bald nach seiner Thronbesteigung den mächtigsten Herrschern Europas einen Besuch ab. Überall wurden neue Freundschaftsbande geknüpft. Auch der Dreibund, den Deutschland, Österreich und Italien erneuerten, soll ein Hort des Friedens fein. Fremden Nationen hat der Kaiser manche ritterliche Aufmerksamkeit erwiesen und ihnen oft in Not hochherzig seine Hilfe dargeboten, so daß auch das Ausland ihm Achtung und Anerkennung zollt. Er weiß aber, daß wir am besten gesichert sind, wenn unser Schwert scharf ist.
Kaiser und Kanzler.
Fürst Bismarck lenkte nach wie vor mit Meisterhand die Geschicke Deutschlands. Aber schon in den ersten Jahren der Regierung Wilhelms II. zeigte es sich, daß die Ansichten des jungen Kaisers in vielen Dingen von denen des Fürsten Bismarck abwichen. Besonders in Bezug auf die Arbeiter-Schutzgesetzgebung, die der Kanzler weniger weit auszudehnen beabsichtigte, ergaben sich tiefgehende Meinungsverschiedenheiten.
Wohl erkannte der Kaiser die unvergänglichen Verdienste des Fürsten um Deutschlands Einigung und um das Reich freudig an. Der junge, tatkräftige Herrscher, der „sein eigener Kanzler“ sein wollte, wünschte jedoch mancherlei Regierungsgeschäfte, die Fürst Bismarck bisher allein geführt hatte, selbst in die Hand zu nehmen.
Daher wurde der alte Reichskanzler im Jahre 1890 unter Erhebung zum „Herzoge von Lauenburg“ entlassen und zog sich auf sein Gut Friedrichsruh im Sachsenwalde bei Hamburg zurück. Später kam es zur Freude des deutschen Volkes wieder zu einer Annäherung zwischen Kaiser Wilhelm und dem Fürsten; aber seinen Sachsenwald hat der große, eiserne Kanzler, „der getreue Eckart“ des deutschen Volkes, nicht wieder verlassen.
In Friedrichsruh schloß er am 30. Juli 1898 die Augen zur ewigen Ruhe. Sein Grabmal trägt die von ihm selbst bestimmte Inschrift: „Fürst von Bismarck, ein treuer, deutscher Diener Kaiser Wilhelms I.“
Heer und Flotte.
Unermüdliche Arbeit verwendet Kaiser Wilhelm darauf, das Heer schlagfertig zu erhalten. Der wachsenden Volkszahl entsprechend, ist es vermehrt worden und zählt jetzt in Friedenszeiten über eine halbe Million Soldaten. Da die Dienstzeit bei den meisten Waffengattungen auf zwei Jahre herabgesetzt ist, muß mit erhöhtem Eifer an der Ausbildung der Soldaten gearbeitet werden.
Sodann hat sich Kaiser Wilhelm II. die besondere Aufgabe gestellt, eine achtunggebietende Flotte zu schaffen.Kein Hohenzoller vor ihm hat so wie unser Kaiser dem Seewesen seine ganze Teilnahme gewidmet; die Vorfahren mußten ja ihrem Lande erst eine Machtstellung schaffen, ehe der Adler den Flug über das Weltmeer wagen konnte. Um den Absatz der Handelserzeugnisse in überseeischen Ländern zu sichern und die Machtstellung des Reiches zu erhalten, ist dem deutschen Volke eine Flotte „bitter not“. Zu den Mitgliedern des Reichstages sprach er: „Aus Deutschland ist ein Weltreich geworden. Überall in fernen Teilen der Erde wohnen Tausende unserer Landsleute.
Deutsche Güter, deutsches Wissen, deutsche Betriebsamkeit gehen über den Ozean. An Sie tritt die Pflicht, mir zu helfen, dieses größere Deutsche Reich auch fest an unser heimisches zu gliedern.“ „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser.“
Solchen mahnenden Worten hat der Erfolg nicht gefehlt.Das Flottengesetz von 1900 bestimmte eine planmäßige Vermehrung unserer Kriegsflotte. An die Spitze der gesamten Schlachtflotte hat der Kaiser einen Bruder, den Prinzen Heinrich, gestellt. Früher konnten in Deutschland selbst nur kleine Schiffe gebaut werden, die großen wurden in England und Frankreich gekauft. Seit dem haben uns unsere großen Werften völlig unabhängig vom Ausland gemacht. Sie bauen die größten Handelsdampfer und die gewaltigen Kriegsschiffe.
1895 übergab Kaiser Wilhelm den für die Küstenverteidigung und den Handel wichtigen Nord-Ostsee-Kanal dem Verkehr und nannte ihn zum Andenken an seinen Großvater Kaiser-Wilhelm-Kanal.
Kämpfe in China
Heer und Flotte haben auch in den letzten Jahren ihre Tüchtigkeit beweisen müssen. Der Haß der Chinesen gegen die Fremden verursachte im Jahre 1900 einen Aufstand. Die Aufständischen, von den Engländern Boxer genannt, ermordeten die Ausländer und die einheimischen Christen. In Peking erschoß ein Soldat sogar den deutschen Gesandten. Auf die Kunde von diesen Greueln schickten die Großmächte Truppen nach China, die den Aufstand niederwarfen. Unter Führung des deutschen Generals Grafen Waldersee, der mit 20 000 Mann nach Ostasien entsandt wurde, gelang es den europäischen Truppen, Friede und Ordnung wiederherzustellen. Auch die Flotte erkämpfte sich in China Lorbeeren.
Bei der Erstürmung der an der Meeresküste gelegenen chinesischen Befestigungen hielt das kleine Kanonenboot „Iltis“ trotz großer Verluste unerschütterlich in furchtbarem Geschützfeuer aus und trug zum Gelingen des Angriffs das meiste bei.
Die Chinesen mußten die Schuldigen betrafen und den beteiligten Mächten Kriegskosten zahlen. Ein chinesischer Prinz kam nach Berlin und sprach dem Kaiser das Bedauern seiner Regierung über den Bruch des Völkerrechtes aus.
Die Kolonien.
Im Jahre 1890 tauschte Kaiser Wilhelm von den Engländern die alte deutsche Insel Helgoland gegen einige Gebiete in Afrika ein. Sie ist für die Marine ein wichtiger Stützpunkt in der Nordsee. Im Jahre 1897 gelang es, die Chinesen dafür zu gewinnen, daß sie die Bucht von Kiautschou mit einen dazu gehörigen Landgebiete an Deutschland auf 99 Jahre verpachteten. Durch Kauf kamen die im Stillen Ozeane liegenden Karolinen, Marianen und Palau-Inseln von Spanien an Deutschland, und später wurde noch die wertvolle Samoagruppe erworben. Die von wilden Völkerschaften bewohnten Kolonien bereiten dem Reiche nicht selten Schwierigkeiten. So brach in Südwestafrika 1904 ein blutiger Aufstand aus, zu dessen Unterdrückung ungefähr 15 000 Mann freiwillig hinauszogen.
Bei den ungeheuern Schwierigkeiten des Feldzuges in dem wilden und wasserarmen Lande haben die deutschen Krieger glänzend bewiesen, daß die alten Tugenden der Väter: Tapferkeit, Kriegszucht und williges Ertragen von Anstrengungen in Heer und Flotte noch lebendig sind.
Handel und Verkehr.
In den letzten Jahrzehnten haben Handel und Verkehr eine ungeahnte Ausdehnung erhalten. Das Reich nimmt unter den Seehandel treibenden Völkern den zweiten Platz ein, und der Vermerk auf den Waren „In Deutschland angefertigt“ gilt in der ganzen Welt als Empfehlung. Durch die deutschen Dampfschiffahrtsgesellschaften, deren Schiffe wegen ihrer Seetüchtigkeit und Schnelligkeit berühmt sind, und durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes ist der Verkehr unendlich gewachsen. Auch hier sucht Kaiser Wilhelm anzuregen und zu fördern; er hat selbst ausgesprochen: „Wir stehen im Zeichen des Verkehrs!“
Wissenschaft und Kunst.
Wissenschaft und Kunst erfreuen sich in Deutschland hoher Blüte. Auf den Technischen Hochschulen, die durch Kaiser Wilhelm den Universitäten gleichgestellt sind, empfangen Baumeister und Ingenieure eine vorzügliche Ausbildung. An der Verbesserung der höheren Schulen, der Lehrerseminare, der Fortbildungs- und Volksschulen wird unermüdlich gearbeitet, damit sie den veränderten Verhältnissen der neuen Zeit entsprechen. Künstler und Dichter erfahren machtvolle Förderung.
Prachtvolle Bauwerke, wie das Reichstagsgebäude, das Herrenhaus, der neue Dom, die Kaiser Wilhelms- und Kaiser Friedrichs-Gedächtniskirche schmücken die Reichshauptstadt. In der Siegesallee ließ Kaiser Wilhelm die Marmorstandbilder der Könige von Preußen, sowie der Kurfürsten und Markgrafen von Brandenburg durch hervorragende Bildhauer errichten und machte sie der Stadt Berlin zum Geschenk. Vor dem Königsschlosse erhebt sich das Nationaldenkmal für Wilhelm I. und vor dem Reichstagsgebäude das gewaltige Standbild seines eisernen Kanzlers, des Schmiedes der deutschen Einigkeit.
Gesetzgebung.
Die Lage des Arbeiterstandes wurde durch das Alters- und Invaliditätsversicherungsgesetz, sowie durch das Arbeiter- und Kinderschutzgesetz weiter verbessert, so daß die deutsche Gesetzgebung hierin für fremde Völker vorbildlich geworden ist. Im Jahre 1900 trat das neue „Bürgerliche Gesetzbuch“ in Kraft, das für das gesamte deutsche Vaterland Geltung besitzt.
Kaiser Wilhelms Fürsorge für das Reich.
Ohne Rast und Ruhe arbeitet Kaiser Wilhelm daran, die machtvolle Stellung Deutschlands unter den Staaten der Erde zu erhalten und zu stärken. Er sorgt aber auch dafür, „daß das Deutsche Reich von allen Seiten das unbedingte Vertrauen als eines ruhigen, ehrlichen und friedlichen Nachbarn genießt“. Auf allen Lebensgebieten will er seinem Volke ein Führer sein, damit es „Gott vertrauend und in sich gefestigt, nach außen entschlossen, nach innen geschlossen“, für die Fortentwicklung menschlicher Gesittung und menschlichen Wissens arbeite. Sammlung und Erholung sucht Kaiser Wilhelm am liebsten auf Seereisen nach Norwegen und dem Mittelmeere.
Die Kaiserin Auguste Viktoria unterstützt ihren hohen Gemahl in der Fürsorge für das deutsche Volk, indem sie den Bau von Gotteshäusern, sowie alle Werke der Wohltätigkeit und Krankenpflege eifrig fördert. Da Deutschlands Zukunft auf der Tüchtigkeit des heranwachsenden Geschlechtes beruht, bemüht sich Kaiser Wilhelm, seine Tochter zu einer echten deutschen Frau, seine Söhne zu pflichttreuen und charaktervollen Männern heranzuziehen. Die Prinzen müssen sich neben einer gründlichen wissenschaftlichen Bildung zugleich tüchtige militärische Kenntnisse aneignen, damit sie einmal als Führer des Heeres und der Flotte dem Vaterlande zu dienen fähig sind.
Ein Freudenfest für das deutsche deutsche Volk war es, als der Kronprinz sich mit der jugendfrischen Herzogin Cecilie von Mecklenburg Schwerin vermählte. Mit den herzlichsten Segenswünschen hat die Bevölkerung das hohe Paar, das dereinst den deutschen Kaiserthron einnehmen wird, bei seinem Einzuge in Berlin begrüßt.
Am 4. Juli 1906 wurde dem Kronprinzen der erste Sohn, dem Kaiser und der Kaiserin also der erste Enkel, geboren. Er erhielt in der heiligen Taufe den Namen Wilhelm. Auch der zweite Sohn Kaiser Wilhelms, Prinz Eitel-Friedrich, hat sich bereits verheiratet. Seine Gemahlin entstammt ebenfalls einem alten deutschen Fürstenhause.
Die Aufgaben der deutschen Jugend.
Seit dem deutschen Einigungskriege 1870/71 befindet sich Deutschland in einem ununterbrochenen wirtschaftlichen Aufschwunge. Der Wohlstand und die Volkszahl wachsen, die Lebenshaltung weiter Kreise ist reicher und besser geworden. Überall im Vaterlande ist der Fortschritt erkennbar.
Das deutsche Volk hat alle Ursache, mit der Entwicklung des Reiches zufrieden zu sein und zu dem Hohenzollerngeschlechte, das Deutschland zu Einigkeit, Macht und Größe geführt hat, mit Vertrauen emporzublicken.
„Die Jugend aber“, so hat Kaiser Wilhelm II. es ausgesprochen, „soll hineinwachsen in das neue Reich. Ihre Aufgaben werden sein: Stetig auszubauen; Streit, Haß, Zwietracht und Neid zu meiden, sich zu erfreuen an dem deutschen Vaterlande wie es ist; nicht nach Unmöglichem zu streben und sich der festen Überzeugung hinzugeben, daß unser Herrgott sich niemals so große Mühe mit unserm deutschen Vaterlande und seinem Volke gegeben hätte, wenn er uns nicht noch Großes vorbehalten hätte!“