Die deutsche Reichsverfassung.
Das Deutsche Reich ist ein Bundesstaat, zu dem 4 Königreiche, 6 Großherzogtümer, 5 Herzogtümer, 7 Fürstentümer, 3 freie Städte und das Reichsland Elsaß-Lothringen, zusammen also 26 Staaten, gehören. Das Oberhaupt ist der König von Preußen als erblicher Deutscher Kaiser.
Unter seinem Oberbefehl stehen Heer und Marine. Er kann Krieg erklären, Frieden schließen und vertritt das Reich dem Auslande gegenüber.Er ernennt die Reichsbeamten, beruft, eröffnet, vertagt und schließt den Reichstag. Die gesetzgebende Gewalt haben der Bundesrat und der Reichstag.
Der Bundesrat besteht aus den Vertretern der deutschen Bundesfürsten.
Der Reichstag wird in geheimer Abstimmung vom Volke auf fünf Jahre gewählt. Jeder 25 Jahre alte Deutsche darf wählen und kann gewählt werben. Die Wahl erfolgt durch Stimmzettel und ist geheim.Es gibt 397 Abgeordnete. Sind die Gesetze vom Bundesrat und Reichstag angenommen, so verkündigt sie der Kaiser. Der oberste Reichsbeamte ist der Reichskanzler. Er ist der Vorsitzende des Bundesrates und trägt die Verantwortung für alle Handlungen der Regierung. Für die einzelnen Angelegenheiten des Reiches sind besondere Reichsämter gebildet: das Auswärtige Amt, das Reichsamt des Innern, das Reichsmarineamt, das Reichsschatzamt, das Reichspostamt, das Reichsjustizamt, das Reichseisenbahnamt und das Reichskolonialamt. An der Spitze jedes Amtes steht ein Staatssekretär.
Wichtige Gesetze des neuen deutschen Reichs.
Gesetz über die Freizügigkeit (1868): Jeder Deutsche darf innerhalb des Reichs seinen Wohnsitz nehmen, wo er will. Gesetz über den Unterstützungswohnsitz (1870): Wer in eine hilflose Lage gerät, muß von der Gemeinde, in der er zuletzt ununterbrochen 2 Jahre lang gewohnt hat, unterstützt werden.
Haftpflichtgesetz (1871): Wenn jemand beim Betriebe der Eisenbahnen, Bergwerke und Fabriken verletzt oder getötet wird, so ist der Unternehmer haftpflichtig und muß den Verletzten oder die Familie des Getöteten mit Geld entschädigen. Nur dann ist er nicht haftpflichtig, wenn der Unfall durch eigenes Verschulden des Geschädigten oder durch höhere Gewalt, z. B. Blitzschlag, verursacht worden ist.
Krankenversicherungsgesetz (1883): Erkrankten Arbeitern und Arbeiterinnen wird freie ärztliche Behandlung und freie Medizin, sowie vom dritten Tage der Erkrankung an bis zur Dauer von 13 Wochen die Hälfte des durchschnittlichen Tagelohnes als Krankengeld gewährt. Stirbt der Kranke, so erhalten die Hinterbliebenen Sterbegeld. Zu den Krankenkassen haben die Arbeiter 2/3 (in der Regel 2% des Tagelohnes), die Arbeitgeber 1/3, der Beiträge zu zahlen.
Unfallversicherungsgesetz (1884): Erleidet ein Arbeiter einen Betriebsunfall, so haben während der ersten 13 Wochen die Krankenkassen für ihn einzutreten. Von der 14. Woche an erhält er außer den Kosten des Heilverfahrens eine Rente, bis er wieder erwerbsfähig ist. Bleibt der Verletzte vollständig erwerbsunfähig, so beträgt die Rente 2/ 3 seines Arbeitsverdienstes; stirbt er, so empfängt seine Familie neben dem Sterbegelde eine dauernde Rente. Die Beiträge werden von den Arbeitgebern gezahlt.
In Preußen sind seit 1883 alle Einwohner, die weniger als 900 Mark Einkommen jährlich haben, von der Staatssteuer befreit;1889 wurde das Schulgeld an den öffentlichen Volksschulen aufgehoben. Um die Erinnerung an die Ruhmestaten der Väter auch in den kommenden Geschlechtern wach zu erhalten, errichtete man das Nationaldenkmal auf dem Niederwalde bei Rüdesheim, das im Beisein des greisen Kaisers feierlich enthüllt wurde.